KRITIK: Wie wäre es, wenn man den Bewerbern Fragen über das Internet stellt, sie lassen sich beim Beantworten aufzeichnen und die Personaler schauen sich die Aufzeichnungen später an? Kommt nicht gut an, wie eine Studie jetzt herausgefunden hat.
Interviews sind aus dem Einstellungsverfahren nicht wegzudenken. Richtig durchgeführt, stellen sie immer noch eines der besten Auswahlverfahren dar. Eine Variante ist das Telefoninterview, das häufig noch vorgeschaltet wird. Eine weitere das Gespräch mit Videounterstützung. Und ganz neu: Das zeitversetzte Videointerview.
Dabei erhalten die Kandidaten die Fragen des Unternehmens, ohne dass eine reale Person am anderen Ende sie stellt. Der Kandidat bekommt eine gewisse Bedenkzeit und nimmt dann seine Antwort per Webcam auf. Anschließend kann der Personaler sich die Antworten in Ruhe anschauen und sie mit denen anderer Kandidaten vergleichen. Das soll genauso aussagekräftig sein wie ein klassisches Bewerbungsinterview, aber es hat einen Haken: Die soziale Validität ist nicht sonderlich hoch.
Gemeint ist, dass die Akzeptanz der Methodik beim Bewerber geringer ist, und da das Einstellungsverfahren auch die Visitenkarte des Unternehmens ist, schadet das eher dem potenziellen Arbeitgeber. Das konnte eine Studie nachweisen, bei der über 600 Teilnehmern (vermutlich Studenten) das Verfahren beschrieben wurde und sie es wie auch das klassische Einstellungsinterview beurteilen sollten. Letzteres schnitt deutlich besser ab, vor allem beim Merkmal Transparenz.
Nachvollziehbar: Sie sehen nicht, wer mit ihnen spricht, wissen nicht, was nach dem Interview passiert, wer sich das Ganze anschaut und wie es ausgewertet wird. Das macht unsicher und eher hilflos. Fazit der Autoren: Lieber weiter von Angesicht zu Angesicht interviewen.
Zwei Dinge fallen mir dazu ein: Zum einen wird hier mal wieder der Vorteil standardisierter Verfahren hervorgehoben. Alle bekommen die gleichen Fragen gestellt, das ist fair und gerecht, jeder hat die gleiche Chance.
Als ob! Wenn es darum ginge, dürfte der Interviewer gar keinen Menschen auf der anderen Seite sehen. Schon beim Aussehen geht jede „Gleichbehandlung“ flöten. Nur in einem „echten“ Gespräch kann ich eine Beziehung aufbauen und die Qualitäten des anderen „testen“. Ich kann missverständliche Aussagen klären, wenig konkrete Formulierungen konkretisieren lassen usw.
Zum anderen: Die ganze Idee ist schräg, weil das Menschenbild dahinter seltsam ist. Das Bewerber kommt zum Check und stellt sich vorgegebenen Fragen, die „auftragsgemäß“ zu beantworten hat. Schließlich will er etwas vom Unternehmen, nämlich einen Arbeitsplatz. Aber möchte nicht auch das Unternehmen etwas vom Bewerber und sollte sich seinen Fragen stellen? Den Personaler möchte ich sehen, der vom Bewerber aufgefordert wird, auf seine Homepage zu gehen und dort vorgegebene Fragen zu beantworten und diese in eine Webcam zu sprechen. Lustig…