PRAXIS: Wie ist das, wenn „der einfache Angestellte plötzlich mehr Zeit im Büro verbringt als sein Chef?“ Die Frage taucht in einem Beitrag der Wirtschaftswoche auf (Montags ist sie nie da), in dem es um Manager und Managerinnen in höheren Positionen geht, die in „vollzeitnaher Teilzeit“ arbeiten. Die Rede ist also von zwei freien Nachmittagen oder einem freien Montag, in dem sie sich um ihre Familie kümmern.
Während vor 10 Jahren nur 5% aller Führungskräfte in Teilzeit arbeiteten, waren es 2019 schon 14%, Tendenz steigend. 69% der Teilnehmer an einer Umfrage gaben an, dass sie ihre derzeitige Position gerne teilen würden. Und im ersten Halbjahr 2023 wurden fast 20% aller Führungspositionen mit der Option auf Teilzeit ausgeschrieben.
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Wo liegt das Problem? Im Rollenverständnis. Wenn Anfragen eingehen, für die der Chef benötigt wird, Entscheidungen anstehen, die ohne sie nicht gefällt werden können, unerwartete Situationen auftreten oder Meetings angesetzt werden, weil wichtige Teilnehmer nun mal nur dann können, wenn die Chefin ihren freien Tag hat, besteht die Gefahr, dass diese dann doch eingebunden wird. Mit der Konsequenz, dass diese Situationen zunehmen werden. Nicht im Sinne der Betroffenen.
Die Rolle klären
Dem aber kann vorgebeugt werden. Es fängt schon damit an, dass der Teilzeit-Chef klar kommuniziert, wann er nicht vor Ort bzw. nicht ansprechbar ist. Was eigentlich kein Phänomen von Teilzeit-Führungskräften ist, sondern schon immer existierte. Ich erinnere mich an Vorgesetzte, deren Mitarbeitende häufig mit der Schulter zuckten, wenn die Frage kam: „Wo ist denn Ihr Chef?“ und entsprechend die Anfragenden vertrösteten nach dem Motto: „Tut mir leid, bei dem Problem kann ich Ihnen leider nicht helfen, da müssen Sie warten, bis er wieder da ist. Keine Ahnung, wann das ist …“
Da hilft es natürlich sehr, wenn es einen für alle zugänglichen Kalender gibt, in dem auch die freien Tage blockiert sind. Was auch hilft: Zugang zu Wissen. Alle Aufgaben und Abläufe sollten transparent, sauber dokumentiert sein (Enorme Kraftanstrengung). Wer Wissen bunkert, darf sich nicht wundern, wenn er an seinem freien Tag angerufen wird oder Dinge liegen bleiben.
Gute Organisation
Alternativ können sich Führungskräfte den Job natürlich auch teilen, worüber wir schon häufiger berichtet haben (Jobsharing für Führungskräfte). Oder einen Stellvertreter installieren für den Fall, dass sie nicht greifbar sind. Noch besser ist es natürlich, wenn die Teammitglieder mit der nötigen Verantwortung ausgestattet sind, selbstständig zu entscheiden. Dazu gehört Vertrauen und auch die Fähigkeit, deren Entscheidungen zu akzeptieren, sie zu unterstützen und gemeinsam zu reflektieren.
Womit wir noch mal beim Rollenverständnis sind und der Empfehlung, die mir am meisten zusagt. Die Führungskraft sollte mit ihren Teammitgliedern die gegenseitigen Erwartungen klären. Wird sie eher als Notfallmanager benötigt, als fachlicher Ratgeber, als Vermittler bei Konflikten, als Sparringspartner, als Mentor oder Coach oder Moderator? Soll sie wirklich die Entscheidungen treffen oder kann das Team das selbst? Um dann zu schauen, ob sie diese Erwartungen überhaupt erfüllen kann (wenn nicht, hat sie ohnehin ein anderes Problem als das der Arbeitszeit) und wie das in Teilzeit gelingen kann.
Das ist ohnehin ein wirklich guter Rat: Klären Sie möglichst früh, welche Erwartungen Ihr Team an Sie hat und umgekehrt. Und treffen Sie dann entsprechende Vereinbarungen. Wie oft geschieht das tatsächlich?