INSPIRATION: Denken Sie öfter über Verhaltensweisen anderer: „Wie kann man nur“? Wenn der andere eine Meinung vertritt oder auf einem Standpunkt beharrt, der Ihnen völlig fremd ist, weit hergeholt und sogar absurd erscheint? Wo Sie gar nicht anders können als ordentlich Kontra zu geben? Mit der Folge, dass der typische Konfliktkreislauf beginnt, man sich gegenseitig übertönt und am Ende sich vielleicht sogar anbrüllt.
In Organisationen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass in solchen Fällen Zuhören die bessere Alternative ist. Aber nicht nur bloßen Hinhören, sondern zumindest der Versuch, die Haltung des anderen nachzuvollziehen. Zuhören hat einen guten Ruf, auch wenn es eine Kunst ist, die vielfach eher nicht beherrscht ist. Dagegen halten können wir gut, zumindest die meisten von uns. Denn auch das Durchsetzungsvermögen ist eine erwünschte Eigenschaft. Anders als bei anderen Konflikt-Modi nach Klaus Eidenschink (Jetzt rede ich und damit basta!) haben sind hier beide Pole im Grunde gesellschaftlich anerkannt.
Wobei Eidenschink weniger von Zuhören als von Erkunden als dem Gegenpol des Sendens spricht. „Erkunden bedeutet, danach zu suchen, ob die andere Seite etwas sagt, dem man zustimmen könnte.“ Und das ist noch eine Nummer schwieriger als das bekannte aktive Zuhören.
Warum das Senden wichtig ist
Wie bei allen Aspekten des Konflikts geht es auch hier darum, eine Wahl zu treffen. Es ist durchaus naheliegend, dass man auf einen starken Sender nicht unbedingt ebenfalls mit Senden reagiert, weil dann die oben beschriebene Spirale startet. Aber es gibt Situationen, da muss man genau das tun: Nämlich Position beziehen. Häufig braucht es „ein unerbittliches Gegenüber, damit eine Auseinandersetzung überhaupt eintreten kann.“ Wenn Konflikte dadurch vermieden werden, dass eine Partei sich wegduckt (was durch die Asymmetrie der Beziehungen in Organisationen häufig der Fall ist), können keine Veränderungen entstehen. Dafür muss der Konflikt an die Oberfläche kommen.
Damit jemand in der Lage ist, auch gegenüber einem starken Sender in den „Sende-Modus“ umzuschalten, ihn zu zwingen, sich für seine Meinung zu interessieren, benötigt er gewisse Kompetenzen. Wobei wir hiermit in der Regel gut ausgestattet sind, denn wir kommen auf die Welt und schreien, machen deutlich, was wir wollen. Später wird uns das dann oft wieder „aberzogen“. Kinder, die auf ihrem Willen bestehen, bekommen zu hören, dass sie nicht zu vorlaut sein, sich nicht immer in den Mittelpunkt stellen sollen. Also eher beigebracht, etwas zu unterlassen statt zu lernen, wie man „erkundet“.
Um „jetzt rede ich!“ zu sagen, nützt es, „ein erotisches Verhältnis zu sich selbst zu entwickeln“. Gemeint ist, „eigenes Wissen, Können und Wollen mit Leidenschaft aufzuladen.“ Wenn Sie sich damit schwer tun, helfen Fragen wie: Was passiert, wenn ich das Wort an mich reiße? Kann ich auch auch mal stur und unhöflich sein? Kann ich auch mal begeistert von mir sein?
Kompetenzen am Pol „Erkunden“
Weitaus schwerer tun wir uns mit dem anderen Pol, dem Erkunden. Hierfür braucht es andere Kompetenzen. Vor allem Selbstliebe. „Wer psychologisch auf das Wohlwollen anderer angewiesen ist, hat es hingegen schwerer, sorgfältig Gegenpositionen zu erkunden, wenn das Gegenüber nur sendet und selbst nicht zuhört.“ Wer viel sendet, ist also eher unsicher, deshalb ist es sinnvoll, sich mit den eigenen Unsicherheiten anzufreunden.
Und man sollte in der Lage sein, „zwei Wahrheiten zur gleichen Sachlage gelten zu lassen.“ Das ist die Voraussetzung, um die Situation mit den Augen des anderen zu betrachten. Wer also häufig denkt „wie kann man nur?“, der hat hier sicherlich Defizite.
Die passenden Reflexionsfragen lauten: Kann ich mir die Motive und Gefühle anderer zu einer Situation ausmalen? Halte ich es gut aus, wenn der andere nicht auf meine Sicht einschwenkt? Wie sehr fürchte ich, dass die Beziehung leidet, wenn ich vom anderen nicht verstanden werde? Bleibt mein Selbstwert stabil, wenn ich andere nicht überzeugen kann?