21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Weiser als der Erzähler

PRAXIS: Geschichten können Türen zu neuen Gedanken, Sichtweisen und Lösungsalternativen öffnen. An der richtigen Stelle erzählt, erreichen sie nicht nur das Hirn, sondern auch Herz und Bauch. Das funktioniert auch in der Konfliktklärung, wenn sich die Parteien verhakt haben und der Klärungsprozess ins Stocken gerät. Konflikte sind nämlich selbst Geschichten, wobei jede Partei ihre eigene erzählt. Und diese „sind extrem verengte, einseitige Narrative.“

Erzählt dann die Mediatorin eine Geschichte aus einem anderen Zusammenhang, sei es ein Märchen, eine  Fabel oder eine selbst erlebte Geschichte, dann kann das Assoziieren zu dieser Geschichte leichter fallen als die Probleme und Konflikte direkt anzusprechen. Und dazu einladen, die gewohnten Denkbahnen zu verlassen und mit anderen Lösungsmöglichkeiten zu experimentieren.


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In der Zeitschrift für Konfliktmanagement stellt Hanna Milling einige schöne Geschichten vor, die zum Beispiel zu Beginn einer Mediation zum Einsatz kommen können – als auch vor dem Beginn der Lösungssuche. Schön sind auch die beiden Fallbeispiele, eines davon hat mich besonders beeindruckt (Storytelling in der Mediation).

Storyttelling

Es ging um ein Team in einem IT-Unternehmen, in dem sich die Stimmung sehr verschlechtert hatte und für alles, was nicht klappte oder nicht erledigt wurde, stets die anderen verantwortlich gemacht wurden. Die Mitglieder drehten sich im Kreis mit gegenseitigen Anschuldigungen und Rechtfertigungen.

Da fiel der Mediatorin die Geschichte des weisen Königs ein, der mit dem „besten Wein“ seinen Untertanen die Steuern ersparen wollte. Seine Idee: In dem kleinen Königreich produzierten die Einwohner großartige Weine, also schlug er vor, dass einmal im Jahr jeder Bewohner eine Flasche seines besten Weines zu einem großen Fest mitbringen sollte. Dort wurden die Flaschen feierlich in ein riesiges Fass gefüllt, so sollte der beste Wein der Welt entstehen und für viel Geld verkauft werden. Damit könnten ab sofort alle Steuern entfallen.

Gut gemeint …

Eine gute Idee, die auch umgesetzt wurde. Nachdem jeder Bewohner seinen besten Wein in das Fass gefüllt hatte, hielt der König eine feierliche Rede, schöpfte ein Glas von dem Wein und trank auf das Wohl seines Volkes. Doch seine Mine erstarrte, denn was er zu trinken bekam war pures Wasser. Die Bürger schauten betreten drein, denn jeder hatte für sich gedacht: „Bei all dem tollen Wein fällt es ja kaum auf, wenn ich eine Flasche Wasser reingieße.“

Der Teamleiter schaute zufrieden aus, genau das war es, was er bemängelte. Jeder überließ die Arbeit den anderen. Die Teammitglieder waren weniger zufrieden: „Wollen Sie damit sagen, dass wir einen weisen Vorgesetzten haben, während wir uns alle verantwortungslos verhalten und deshalb schuld daran sind, dass es nicht vorangeht?“

Die Pointe

Die Mediatorin greift den Einwand auf und verbalisiert: „Sie haben den Eindruck, die Geschichte erhebt einen einseitigen Schuldvorwurf, gegen den Sie sich wehren möchten?“

Ein anderer Mitarbeiter kritisiert, dass die Geschichte ja Unsinn sei. Man würde niemals viele gute Weine zu einem besseren pantschen. Der König hätte besser alle Bewohner gebeten, eine Flasche ihres besten Weines zu stiften und diese zu verkaufen, dann würde auch die Besonderheit jedes einzelnen Weines gewürdigt.

Beim Lesen dachte ich spontan: „Mensch, darum geht es doch in der Geschichte gar nicht, da hat jemand die Pointe nicht verstanden.“ Und sah mich schon in der Rolle, die Geschichte zu erklären und zu rechtfertigen. Und nun das Schöne an dem Beispiel: Ein anderes Mitglied griff den Einwand auf und erklärte, genauso sei es in ihrem Team. Seit es das Ticketsystem gebe, würde die individuelle Leistung nicht mehr sichtbar.

Großartig, oder? Damit wurde die Ursache für den Unmut klar: Vorher war jeder für einen bestimmten Bereich oder Kunden zuständig, mit dem zentralen Ticketsystem arbeitete jeder nur Anfragen ab. Und je schneller er arbeitete, umso mehr neue Aufgaben bekam er auf seinen Bildschirm. Da lag es doch nahe, etwas langsamer zu arbeiten, sonst wurde man zum „Arbeitsidioten“ des Teams. Wobei die tatsächliche Leistung jedes Einzelnen überhaupt nicht mehr sichtbar war.

Die Geschichte erwies sich als weiser als die Erzählerin, machte alle nachdenklich und führte dazu, die Arbeitsprozesse zu überdenken und zu optimieren. Und für mich ein schöner Beleg für die Überzeugung, dass man, egal mit welcher Intervention man arbeitet, Vertrauen in die Gruppe haben sollte, dass sie selbst zu den richtigen Schlussfolgerungen gelangt.

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