PRAXIS: Gibt es noch irgendetwas Neues in Sachen Verhandlungsführung? Sicher nicht, dachte ich und schob die Lektüre des Beitrags über „High Stakes Verhandlungen“ eine Weile vor mir her und hatte das Heft schon zur Seite gelegt. Aber siehe da: Es gibt Verhandlungen, die sind so wichtig für ein Unternehmen, dass dabei seine Existenz auf dem Spiel steht. Und dann gelten andere Gesetze. Zumindest sind dann Dinge zu berücksichtigen, die bei „normalen“ Verhandlungen keine Rolle spielen.
Was tun, wenn ein Zulieferer, auf den man angewiesen ist, den Preis für einen wichtigen Rohstoff plötzlich verfünffacht? Oder, wenn ein großer Abnehmer plötzlich nicht mehr zahlt, obwohl man weiter liefert und man auf das Geld dringend angewiesen ist? Was, wenn ein Unternehmen eine hohe Summe vom Versicherer verlangt und die Rechtslage unklar ist? Kernbotschaft: In solchen Fällen muss das Top-Management ins Boot. Aber wie macht man das – zumal die oberste Ebene nicht unbedingt die besten Verhandler sind oder in der Regel über weniger Erfahrungen verfügen als z.B. der Einkauf?
Der Autor im Harvard Business Manager ist Verhandlungsprofi (Lass sie kommen!). Er wird in den oben beschriebenen Situationen gerufen und erarbeitet mit seinen Auftraggebern ein Verhandlungsdrehbuch, an das sich strikt gehalten wird. Wenn der Verhandlungspartner große Macht hat, z.B. ein Monopolist ist, dann hilft der Strategie der kontrollierten Konfrontation. Hier die einzelnen Schritte:
Verhandlungsdrehbuch
- Vorbereitung: Zunächst muss ein realistisches Ziel gesetzt werden. Der Klassiker: Es geht um BATNA: Best Alternative to a Negotiated Agreement. Also: Was ist unsere beste Alternative, sollten die Verhandlungen scheitern. Dazu gehören auch die Konsequenzen, die man bereit ist zu ziehen, wenn der Verhandlungspartner nicht einlenkt. Interessante Beobachtung: Verhandler schätzen die eigene Position oft zu schwach ein. Allerdings: Wenn Vorstände eingebunden werden (was bei High Stakes Verhandlungen dringend empfohlen wird), wird die eigene Position oft geschönt dargestellt – man will die Chefs nicht verärgern. Was diese zu Fehlentscheidungen verleiten könnte.
Zur Vorbereitung gehört auch, die Entscheidungsträger der eigenen Seite zu verpflichten, das Drehbuch inklusive der etwaigen Konsequenzen verbindlich einzuhalten. Man kann sich schon vorstellen, dass ein Vorstand aus mangelnder Erfahrung gerne mal abweicht und an der falschen Stelle nachgibt. - Erstkommunikation: In einem Sondierungsmeeting wird das Verhandlungsmandat offengelegt. Das Verhandlungsteam muss hierarchieübergreifend besetzt sein. Derjenige, der normalerweise den Kontakt zum und die Verhandlungen mit dem Gegenüber führt, sollte hier nicht involviert sein. Der Verhandlungspartner erfährt hier die Hauptforderung – mit dem Hinweis auf Win-Win-Möglichkeiten, um eine kooperative Atmosphäre zu gewährleisten.
- Follow-up – Verdeutlichung der Forderungen: Im Follow-up-Meeting werden die Forderungen noch einmal konkretisiert. Lehnt die Gegenseite ab, wird sie aufgefordert, einen schriftlichen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Und ihr werden die Konsequenzen mitgeteilt, falls man sich einem Kompromiss verweigert.
- Kontrollierte Konfrontation: Enthält der Gegenvorschlag keine Zugeständnisse, werden erste Konsequenzen angekündigt (Anwalt einschalten, Kunden über das Verhalten informieren etc). Die Gegenseite wird aufgefordert, bis zum nächsten Meeting einen neuen Vorschlag zu unterbreiten.
- Problemlösung: Wenn die Verhandlungen in Bewegung geraten, bleibt man einerseits bei der Ankündigung weiterer Konsequenzen, stellt aber gleichzeitig Tradables in Aussicht, das sind Zugeständnisse, die der eigenen Seite zwar weh tun, aber nicht existenziell sind.
- Einigung: Hier kommen letzte Tradables ins Spiel und das Ergebnis wird festgehalten. Scheitert an dieser Stelle die Einigung wider Erwarten, werden sofort alle angekündigten Konsequenzen in Gang gesetzt. Dann geht es zurück zu Schritt 4. Das alles kann sich über Wochen und Monate hinziehen.
Klare Spielregeln einhalten
Mehrfach betont der Autor, wie wichtig es ist, dass die Kompetenzen des Verhandlungsteams klar definiert sind, ebenso die Berichtswege. Soll heißen: Die Berichterstattung wird klar an bestimmte Meilensteine geknüpft.
Weil so viel auf dem Spiel steht, reden in der Regel ganz viele Leute mit, jeder spricht mit jedem und irgendwann hat keiner mehr den Überblick. Daher ist es ungemein wichtig, dass die handelnden Personen klar benannt werden und sich ab dem Moment alle, auch der CEO (falls er nicht Teil des Teams ist) heraushalten. Niemand greift ein oder kommuniziert während der Verhandlungsphase mit der Gegenpartei. Für viele sicherlich schwer auszuhalten, vermute ich.