5. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

4-Tage-Woche

INSPIRATION: Mitarbeiter in Teilzeit gibt es viele. Aber was wäre, wenn ganze Unternehmen die Arbeitszeit reduzierten? Alle Mitarbeiter nur noch vier statt fünf Tage arbeiteten? Inzwischen mehr als nur ein Gedankenspiel. Und die ersten Leitfäden, wie dabei vorzugehen wäre, gibt es auch schon. Im Harvard Business Manager stellen zwei Amerikanerinnen den möglichen Ablauf vor (Der Weg zur Viertagewoche). In Berlin gibt es eine kleine Personalvermittlung, wo das Modell bereits gelebt wird (Avantgarde für eine neue Arbeitswelt).

Das empfohlene Vorgehen

  1. Denkweise ändern: Arbeitszeiten haben den Vorteil, dass sie leicht zu erfassen sind. Reduziert man diese, wäre es gut, wenn andere einfache Kennzahlen zur Verfügung stehen, um Leistung zu erfassen. Sonst besteht die Befürchtung, in der geringeren Zeit mehr oder schneller arbeiten zu müssen.
    Außerdem ist es wichtig, ein Pilotprojekt für das komplette Unternehmen aufzusetzen – Tests in kleinen Bereichen funktionieren nicht. Vor allem aber: Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie nicht alle Probleme im Voraus berücksichtigen können oder dass alle von den Veränderungen begeistert sein werden.
  2. Ziele benennen: Woran soll nach der Pilotphase festgemacht werden, ob sich die Umstellung lohnt? An welchen Kriterien wird Produktivität gemessen? Welche Rolle spielt die Mitarbeiterzufriedenheit? Die Kundenzufriedenheit? Aber auch Fragen wie: Welche Unterstützung benötigen die Mitarbeiter zur Umstellung? Wie lange soll der Versuch laufen? Gibt es juristische Fragestellungen, die zu klären sind?
  3. Kommunizieren: Während der Planung ist ein intensiver Austausch mit den Mitarbeitern erforderlich, denn es werden sich etliche Prozesse ändern. Klassisches Beispiel: Die Zeiten für Besprechungen werden sich ändern, auch ihre Zahl und ihre Länge. Es gibt auch kein Patentrezept, wie sich die 32 Stunden über die Woche verteilen sollten, hier müssen je nach Firma, Bereich oder gar Team unterschiedliche Lösungen geschaffen werden. Offenbar keine Sorgen muss man sich um die Kunden machen, in Beispielen zeigt sich, dass diese ebenso wie die Mitarbeiter zufriedener sind. Gleichwohl müssen die Veränderungen natürlich auch ihnen gegenüber kommuniziert werden.
  4. Starten: Hier ist es wichtig, Geduld zu haben und vor allem eine Atmosphäre zu schaffen, in der alle Fragen erlaubt sind – selbst solche wie „Was wird denn aus unserem regelmäßigen gemeinsamen Mittagessen?“
  5. Auswerten: Hier geht es nicht nur um Produktivität und um Zufriedenheit. Es muss genau hingeschaut werden, wie sich die Arbeit verändert hat. Mehr Überstunden, weniger Pausen, Vernachlässigung wichtiger Aufgaben zugunsten der dringlichen?

Einige konkrete Tipps

Damit nicht doch während der eigentlich arbeitsfreien Zeit gearbeitet wird, sollten während dieser keine Mails verschickt werden. Regelmäßige Strategiemeetings verhindern, dass wichtige Entscheidungen vernachlässigt werden. Genau hinschauen, ob die Anreizsysteme passen. 


Anzeige:

Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...


So gar nicht erwähnt wird in diesem Beitrag, wie man die Gehaltsfrage löst. Da hat es die kleine Beratungsfirma Blackbird Collective in Berlin einfacher. Hier gehörte die 32-Stunden-Woche von Anfang an zum Konzept, von daher weiß auch jeder Mitarbeiter schon bei der Einstellung, wie viel er als „Teilzeitler“ bekommt. Wobei der Gründer den Begriff nicht mag – er passt ja auch nicht mehr in die Zeit. Teilzeit bedeutet ja immer, dass jemand nur den einen Teil der Regelarbeitszeit tätig ist, damit hat er immer eine Sonderrolle, gilt als weniger engagiert, mehr an Freizeit interessiert und oft nicht als vollwertige Arbeitskraft. Auch das Problem entfällt, wenn alle weniger arbeiten.

Brotjob

Einige Aussagen des Gründers im Interview lassen aufhorchen: Die Vermittlung von Arbeitskräften sei ein „Brotjob“, sicher keine Berufung. Wer sich als Persönlichkeit entfalten will, braucht dafür Flexibilität und Freiheit, was bei 40 Arbeitsstunden schwierig ist. Erinnert an die eigentliche Bedeutung von New Work. Man kann nicht davon ausgehen, dass jede Tätigkeit mit Begeisterung und Hingabe verbunden ist, aber wenn sie jemanden ernährt und ihm gleichzeitig die Möglichkeit bietet, sich woanders zu verwirklichen, ist das ein gutes Argument für geringere Arbeitszeiten.

Dazu muss das Gehalt natürlich stimmen. Bei der erwähnten Beratung liegen die Einkommen unter denen vergleichbarer Unternehmen, aber die Fluktuation ist gering, die Anfragen nach Jobs sind hoch. Urlaubstage werden gar nicht vollständig in Anspruch genommen. Offenbar sind die „eingesparten“ Stunden ausreichend, um sich zu erholen oder um die Dinge des privaten Lebens stressfrei zu bewältigen. Noch ein interessanter Aspekt: Die Mitarbeiter verdienen weniger, haben aber offenbar dank der allgemeinen Zufriedenheit mit ihrer Situation gar nicht so sehr das Bedürfnis nach Konsum oder teuren Urlauben. Könnte was dran sein, andernfalls würden sie vermutlich lieber höher bezahlte Jobs, dafür mit 40 Stunden plus x wählen.

Gefragt, ob sich das Modell auf größere Unternehmen übertragen lässt, bleibt der Gründer bescheiden – er möchte sein Modell nicht so wichtig nehmen. Sympathisch, daraus nicht gleich das einzig wahre Erfolgsmodell zu machen. Und Anreiz genug für Experimente.

Pausen

Auf ein grundlegendes Problem macht der Neurobiologe Henning Beck aufmerksam (Lieber fünf Tage mit mehr Pausen). Er kritisiert das in Belgien in Kraft getretene Gesetz zum Recht auf die Vier-Tage-Woche. Wenn dies dazu führt, dass die gleiche Arbeit wie bisher nur in weniger Zeit geschafft werden muss, ist das aus neurowissenschaftlicher Sicht Unsinn. Statt einen Tag mehr frei zu haben, benötigen wir eigentlich mehr Pausen. Am besten sogar alle zwei Stunden 20 bis 30 Minuten. Das ist nicht nur gesünder, sondern lässt uns in der verbleibenden Zeit tatsächlich produktiver sein. So kommt man auch auf 32 Stunden, aber hat eben keine Vier-Tage-Woche. Tja …

Letztlich bedeutet all das doch, dass man viel sorgfältiger über den Begriff „Produktivität“ nachdenken sollte. Wie viel soll tatsächlich in welcher Zeit geleistet werden und wie viel ist überhaupt leistbar? Und wie sollte man die Tätigkeiten auf einen definierten Zeitraum, seien es nun 40 oder 32 Stunden, verteilen, so dass sie einerseits den bestmöglichen Ertrag bringen, andererseits die Menschen aber auch nicht ausbeuten oder gesundheitlich beeinträchtigen? Die Diskussion dürfte gerade erst losgehen …

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert