INSPIRATION: Ein schwieriges Feld: Können große Unternehmen an ihren erfolgreichen Konzepten festhalten und gleichzeitig sich neu erfinden? Oder müssen sie, um zu überleben, alles Bewährte über Bord werfen? Inzwischen gibt es dazu einige theoretische Ansätze – aber helfen sie weiter?
Ambidextrie steht für die Fähigkeit der „Gleichhändigkeit“ – dass man eben beide Hände gleichermaßen geschickt nutzen kann. Wer kann das schon von sich sagen? Versuchen Sie mal, Ihre Zähne mit der schwächeren Hand zu putzen!
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Bei Organisationen hat sich der Begriff offenbar etabliert als die Fähigkeit, gleichermaßen stabil oder effizient zu sein als auch anpassungsfähig und flexibel. Was nachvollziehbar ist: Wer über sehr etablierte und eingeschliffene Prozesse verfügt, die perfekt funktionieren, der wird kalt erwischt, wenn diese Prozesse plötzlich gar nicht mehr gebraucht werden.
Lösungsansätze für ein Problem
Da es sehr prominente Beispiele für Organisationen gibt, die nicht nur kalt erwischt wurden, sondern aus Mangel an Flexibilität ganz von der Bildfläche verschwunden sind, lässt sich mit dem Thema seit längerer Zeit viel Aufmerksamkeit gewinnen. Entsprechend haben Theorien Konjunktur, die vorgeben, einen Erklärungsansatz für das Phänomen zu bieten als auch Lösungsansätze anbieten. Ich lasse mal dahingestellt, wie fundiert die folgenden Ansätze sind, denn auf echte Studien und Experimente dürften sich die wenigsten von ihnen berufen. Es sind mehr Gedankenmodelle, die von Beratern anhand von Einzelfällen entwickelt wurden. Die Zusammenstellung folgt einem Beitrag von Schumacher und Wimmer (Gleichzeitig Bestehendes opimieren und Neues erfinden?):
- Innovator’s Dilemma nach Christensen. Unternehmen können die Opfer des eigenen Erfolges werden, sie orientieren sich nur an den Kundenwünschen und verwerfen folglich alle Ideen, die (noch) niemand will. Ganz anders als Start-ups, die frei neue Ansätze austesten können. Empfehlung: Große Unternehmen müssen start-up-ähnliche Gebilde installieren und unabhängig von der Mutter „zu Wasser lassen“.
- Dual operating Systems nach Kotter. In erfolgreichen Unternehmen sorgen Hierarchien und Organigramme für Konstanz und Effizienz. Flexible Strukturen basieren auf Netzwerken. Also sollte es neben der Hierarchie eine zweite Struktur, eben Netzwerke geben. Die Mitglieder sind dann Teilnehmer entweder der einen oder anderen, aber auch in beiden Strukturen. In der ersten bestimmt die Linie, in der zweiten herrscht Selbstorganisation.
- Exploration/Exploitation nach March. Exploration steht für das Erkunden und Experimentieren, also der Suche nach Neuem. Exploitation steht für alles, was Bestehendes optimiert. Die Theorie besagt, dass beide Dinge im Wettstreit um Ressourcen stehen, das kann natürlich auch ein Wettstreit zwischen Vertretern bzw. Teilbereichen innerhalb einer Organisation sein.
- Two Routes to Resilience nach Gilbert. Klingt ähnlich wie der Ansatz nach March, auch hier geht es einerseits ums Kerngeschäft, das Bestehende, zum anderen um die Anpassung an neue Entwicklungen. Betont wird hier der „Fähigkeitsaustausch“, also kein Wettkampf um Ressourcen, sondern ein Weg, beide „Welten“ mit Mitteln zu versorgen, bis ein neues Geschäftsmodell die Oberhand gewinnt.
- Lose und feste Kopplung nach Weick. Gemeint ist die Verbindung der beiden Systeme (also ein traditionelles System mit einer start-up-ähnlichen Form). Ist diese eher lose, sind beide relativ autonom, Veränderungen schlagen nicht auf das jeweils andere System so schnell durch. Losere Verbindungen sind eher in weniger vorhersehbaren Umwelten zu finden.
All das hat eher beschreibenden Charakter oder wirkt wie „Idealbilder“. Entscheidend für den Erfolg dürfte sein, dass es gelingt, konstruktiv miteinander umzugehen. Wie die Autoren schreiben: „Voraussetzung ist, dass die spezifische Eigenlogik der beiden Welten im Team angemessen vertreten ist …“ Gemeint ist das Top-Management-Team. Wenn, wie ich das schon erlebt habe, Mitglieder des Top-Managements sich über die Kollegen aufregen, die kein Gespür für die Herausforderungen der „neuen Welt“ haben, dann sieht es schlecht aus. Das Denken in „Sowohl-als auch“-Begriffen ist auch in Unternehmensleitungen eher selten anzutreffen.