7. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Angstfreie Organisation?

INSPIRATION: Satire oder Realität? Da hat eine Führungskraft protokolliert, wie viel Zeit einer ihrer Mitarbeiter auf der Toilette verbrachte. Nach zwei Wochen addiert er die Minuten und kürzt ihm das Gehalt. Klingt nach einer angstfreien Organisation, oder? Wie mag es dort wohl um die Fehlerkultur bestellt sein? Im Personalmagazin erklärt die Personalleiterin von Schenck Rotec, wie man dort mit Fehlern umgeht („Umgang mit Fehlern ist Führungssache“). Dabei geht sie von unterschiedlichen Fehlertypen aus: Fehler, durch die ein Einzelner das Unternehmen gefährdet, und Fehler im Prozessablauf aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis.

Interessante Behauptung: Erstere können nicht vorkommen, weil das Unternehmen über die entsprechenden Kontrollmechanismen verfügt, die solche Fehler verhindern. Fehler durch Unkenntnis sind auch kaum vorstellbar, weil die Mitarbeiter gut ausgebildet sind. Bleiben also nur Fehler aus Nachlässigkeit. Auch die können schlimme Folgen haben, und hier ist es wichtig, dass sie angesprochen werden. Dazu gibt es entsprechende Foren: Projekt Reviews, Qualitätskreise und Produktteams.


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Das offene Ansprechen von Fehlern

Genau um dieses offene Ansprechen von Fehlern geht es bei dem Konzept der angstfreien Organisation. Karlheinz Schwuchow fasst im Personalmagazin den Stand der Forschung zusammen (Jenseits der Angst) und bezieht sich hier auf die Arbeiten von Amy Edmondson (Die angstfreie Organisation). Ausgangspunkt ist eine Studie aus den 90er-Jahren, bei dem Klinikteams untersucht wurden. Dabei zeigte sich, dass diejenigen mit der höchsten Anzahl an Fehlermeldungen die besten Leistungen zeigten. Was daran lag, dass sie gar nicht die meisten Fehler machten, sondern mehr über ihre Fehler sprachen und aus ihnen lernten.

Da ahnt man das Dilemma der längere Zeit propagierten Null-Fehler-Politik: Wenn keine Fehler gemeldet werden, heißt das ja noch lange nicht, dass keine passiert sind. Erinnert mich an die Zeiten, in denen ich mit Arbeitsunfällen zu tun hatte. Was da nicht alles unternommen wurde, um Unfälle bei der Arbeit nicht in der Statistik auftauchen zu lassen …

Gefragt ist also ein Klima der Angstfreiheit, die sich darin zeigt, dass die Menschen Probleme offen ansprechen. Nicht mehr und nicht weniger – ganz einfach. Wenn Menschen sich überlegen müssen, ob sie Schwierigkeiten kriegen, wenn sie ein Problem adressieren, dann fehlt die „psychologische Sicherheit“. Laut Schwuchow gibt es einige Faktoren, die diese Sicherheit beeinträchtigen: Sichtbare Statusunterschiede zum Beispiel. Fehlende Wertschätzung und Empathie. Einseitiger Fokus beim Umgang mit Fehlern und Sanktionieren von Fehlern, statt aus ihnen zu lernen.

Das mit den Fehlern ist ja alles andere als einfach. „Schön und gut, natürlich soll man aus Fehlern lernen. Aber was, wenn ein Fehler passiert, der so gravierende Folgen hat, dass das Unternehmen gefährdet ist oder Menschen zu Schaden kommen? Soll man da auch mit den Schultern zucken und sagen: ‚Passiert ist passiert, nun lasst uns mal schauen, was wir daraus lernen können.‘ Soll man da etwa nicht auch mal mit klaren Konsequenzen, sprich Sanktionen reagieren dürfen?“

Kluge Fehler?

Vielleicht hilft hier die Unterscheidung in drei Arten von Fehlern nach Edmondson:

  • „Vermeidbare Fehler in einem planbaren Umfeld“. Das sind die oben erwähnten typischen Fehler aus Nachlässigkeit oder Unkenntnis. Genau die Fehler, die man mit der Null-Fehler-Philosophie versucht zu bekämpfen, z.B. mit Checklisten, regelmäßigen Reviews, Schulungen etc. Diese zu sanktionieren, ergibt sicherlich wenig Sinn. Dann hätte man schnell eine Kultur der Angst und mit Sicherheit das Problem, dass Fehler vertuscht werden.
  • „Unvermeidbare Fehler in einem komplexen Umfeld“. Als Beispiel wird die Notaufnahme in einem Krankenhaus genannt. Auch wenn man noch so aufmerksam ist und alle Vorkehrungen getroffen hat: Es gibt immer wieder unerwartete Situationen, in denen es zu Fehlern kommt. Hier muss man für höchste Standards und ein entsprechendes Risikomanagement sorgen. Und wenn dann trotzdem Fehler passieren, hieraus möglichst schnell Maßnahmen ableiten. Sanktionen machen hier sicher auch keinen Sinn, sie lähmen nur die Entscheidungen bei der nächsten Krise.
  • „Kluge Fehler an der Grenze des Wissens“. Hier passt der Begriff „Fehler“ vielleicht gar nicht, es geht mehr um gescheiterte Experimente, und das ist einkalkuliert. Wenn etwas Neues probiert wird, muss man davon ausgehen, dass nicht jede Neuerung funktioniert, das ist der Sinn von Lernen durch Versuch und Irrtum. Welchen Sinn sollte es haben, gescheiterte Experimente zu bestrafen? Wer riskiert dann noch etwas? Woher sollen dann Innovationen kommen?

Also was sollen das für Fehler sein, auf die Sanktionen erfolgen müssen? Doch eigentlich nur diejenigen, wo jemand wider besseres Wissen gehandelt hat. Also die notwendigen Kenntnisse hatte, es auch die entsprechenden Sicherheitsvorgaben gibt, diese ihm bekannt waren und er „bewusst nachlässig“ war nach dem Motto: „Es wird schon gut gehen!“ Mir fällt da das typische Nicht-Tragen von Sicherheitsschuhen, -helmen, -handschuhen ein. Hier sollte die Sanktion möglichst erfolgen, wenn der „Fehler“ noch nicht zu einem Schaden geführt hat. Wenn der Betreffende sich bereits verletzt hat, kann man sich fragen, ob eine zusätzliche Sanktion überhaupt noch notwendig ist. Ein Klima der Angst in Betrieben, wo streng auf Sicherheitsvorgaben geachtet wird, ist eher unwahrscheinlich, solange die drei oben aufgeführten Fehlerarten eben nicht sanktioniert werden.

Die Sache mit der Kontrolle der Toilettenzeiten ist übrigens keine Satire. Ich habe sie im gleichen Heft des Personalmagazins gefunden in der Rubrik „Kuriose Urteile“. Es war offenbar der Inhaber einer Anwaltskanzlei, der dieses „Fehlverhalten“ protokollierte und sanktionierte. Der Angestellte hat dagegen geklagt mit dem Argument, er hätte in der Zeit Verdauungsstörungen gehabt. Er bekam vor Gericht Recht. Hier dürfte das Klima der Angst wohl eher noch zunehmen.

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