INSPIRATION: KI ist nicht intelligent – sie tut nur so. Sie simuliert Intelligenz. Doch Menschen neigen dazu – weil sie stets auf der Suche nach Sinn sind –, sie zu vermenschlichen, ihr zu vertrauen. Und das ist gefährlich.
Wer solches sagt, ist Nachwuchsprofessor für die „Interaktion zwischen neuronalem Gewebe und technischen Systemen“ an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes – und noch keine 40 Jahre alt („Wir sollten uns als intelligenteste Spezies hinterfragen“). Es sei fahrlässig und irreführend in Bezug auf KI von Intelligenz zu sprechen.
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Es ist bloß diese atemberaubende Geschwindigkeit mit der wir von KI (z.B. ChatGPT) eine Antwort bekommen, die Menschen oft mit Intelligenz verwechseln. Dabei prozessiert KI nur statistische Wahrscheinlichkeiten auf der Basis von Trainingsdaten, mit der sie gefüttert wurde, das haben wir andernorts schon gelesen (Neuer Arbeitsethos). Die Güte dieser Daten muss aber nicht exzellent sein.
Wenn Click-Worker taggen
Man hat schon häufiger davon gehört, das irgendwo auf der Welt unter anderem schlecht bezahlte Click-Worker dafür zuständig sind, nicht nur Katzenfotos, sondern auch anderes Material zu taggen. Womit dann KI gefüttert wird. Und auch Wikipedia, die die KI vermutlich verfrühstückt hat, muss kein Born der Weisheit sein – wie Experten auf ihrem Gebiet immer wieder feststellen. Weil Einträge von prinzipiell jedem und immer wieder editiert werden können.
Ich persönlich habe vor Jahren einmal intensiver verfolgt, wie sich der Eintrag zum Stichwort „Coaching“ auf Wikipedia permanent verändert. Mein Eindruck: Hinter den Kulissen tobt ein Krieg um die Deutungshoheit. Das Volumen der Logfiles wächst und wächst … doch wer schaut da rein? Vermutlich kaum einer. Und es gibt keine Kuratoren wie in der Wissenschaft, die die Spreu vom Weizen trennen.
Über Äpfel und Birnen
Es sei auch fahrlässig und irreführend, KI mit einem Gehirn zu vergleichen, so Experte Sebastian Markert. KI-Systeme wie die großen Sprachmodelle, die hinter ChatGPT oder DeepSeek stecken, sind völlig geordnet. „Ihre neuronalen Netzwerke sind in Schichten aufgebaut und eine Information läuft immer von Schicht zu Schicht. Unser Gehirn dagegen ist ein einziges Chaos.“ Das meint, es gibt zahlreiche Querverbindungen, und wir sehen eher einem Feuerwerk an Informationen zu. Und dabei beeinflusst unser Gehirn sich selbst. Wenn es Informationen verarbeitet, dann verändern sich Teile des Gehirns, zum Beispiel bilden sich neue Synapsen (neuronale Plastizität).
Menschliche Gehirne lassen Bewusstsein entstehen. KI weiß hingegen nicht, was sie tut. Sie ist ein Zombie, so Sebastian Markert: „Ich gehe davon aus, dass KI-Modelle niemals Bewusstsein erlangen können.“ – Und sie hat auch keinen Körper (Embodiment), würde ich noch ergänzen. – Aber KI-Systeme können von Mächtigen missbraucht werden, so Markerts Warnung. Der Manipulation seitens der Anbieter sind Tür und Tor geöffnet. Und der naive Gebrauch der Nutzenden, dass man sich auf den Output der Systeme bequem verlässt, tut seinen Teil dazu. Auch das hatten wir schon vernommen (A Fool with a Tool …). Wenn man das auch sarkastisch ins Witzige drehen kann (Wallace & Gromit).
Was ist eigentlich Intelligenz?
Köstlich liest sich der erste Teil des Interviews, in dem Interviewerin und Experte um Kriterien für Intelligenz ringen und einige Hypothesen durcharbeiten:
- Gehirngröße: Elefanten wären dann deutlich intelligenter als Menschen.
- Gehirngröße in Relation zur Körpergröße: Dann wären manche Äffchen intelligenter als Menschen.
- Anzahl der Nervenzellen im Neokortex: Das Gehirn des Orca hat etwa doppelt so viele Neuronen wie das Menschengehirn.
- Faltungen des Gehirns: Das Gehirn des Orca hat mehr Faltungen als das des Menschen.
Neurowissenschaftler Markert vergleicht schließlich den Orca mit einem Steinzeitmenschen: „Was haben sie gemeinsam? Beide besitzen ein hochkomplexes Sozialgefüge und kommunizieren innerhalb ihrer Gruppe, haben sogar unterschiedliche Dialekte. Sie sprechen sich ab, machen Pläne und Strategien, zum Beispiel für die Jagd. Sie betrauern beide ihre Toten.“ Was dem Orca fehlt, ist ein Daumen, eine Hand, die für den Werkzeuggebrauch wichtig ist. Und die Schrift.
Und warum ist sie männlich?
Aber es gibt noch mehr Verwunderliches rund um Intelligenz: Zumeist wird sie männlich dargestellt – vom Affen über den Steinzeitmenschen zum modernen Schreibtischtäter. Der Mann als Höhepunkt der Evolution, so Autorin Franca Parianen (Der Faustkeil war nicht der Durchbruch). Aber warum? Wegen dem Werkzeuggebrauch! Vom Knüppel über den Faustkeil zur Atomrakete. Das ist Story Telling – in dem Frauen nicht vorkommen. Und was für ein einseitiges Missverständnis.
Interessant: Menschen und ihre Vorfahren haben schon mehrere Millionen Jahre ein verhältnismäßig großes Gehirn. „Die meiste Zeit davon ist uns außer Steinkeilen recht wenig Weltbewegendes eingefallen (…); erst in den letzten 50.000 Jahren entstand alles von Grillutensilien bis zu Mikrochips.“ Was für eine Verschwendung; so ein großes Gehirn braucht auch viel Energie. „Deswegen liegt es nahe, dass sich dieses Gehirn schon lange vor der Erfindung ausgeklügelter Werkzeuge für den Menschen gelohnt hat. Warum?“
Soziale Intelligenz als Schlüsselkompetenz
Weil wir das Gehirn für anderes Wichtiges brauchen, so die These. Die eigentliche Triebfeder der Hirnentwicklung ist die soziale Intelligenz. Sie ermöglicht das Leben in sozialen Verbänden (Horden, Stämmen). Bei allen Affenarten, die in Sozialstrukturen leben, ist der Neokortex stark entwickelt. „Sozialstrukturen erlauben es uns überhaupt erst, dass sich unser Gehirn über eine langwierige Kindheitsphase so komplex entwickelt.“
Also Zeit und Raum für intensives Spielen und Lernen in geschützter und unterstützender Atmosphäre. „Sozialer Intelligenz kommt also eine Schlüsselrolle zu,“ so Franca Parianen. „Speziesübergreifend zeigt sich Intelligenz oft im Rahmen sozialen Verhaltens. Delfine sprechen sich gegenseitig mit Namen an, Ziegen verstehen Symbole. Bienen bringen ihren Nachkommen das Tanzen bei und Bonobos beherrschen eine bisher ungeahnte Form von Syntax.“
Irgendetwas muss also falsch gelaufen sein in der wissenschaftlichen Konzeptentwicklung der Intelligenz wie wir sie heute kennen. Franca Parianen bringt es brutal auf den Punkt: Sexismus. Denn die „soziale Kompetenz ist eng verbunden mit Fürsorge und Mutterschaft, also eher weiblich konnotiert“.
Kultureller Bias des Intelligenz-Konstrukts
Die Autorin bringt etliche Beispiele, die zeigen, dass Frauen – jenseits von Landwirtschaft et cetera – lange in diversen Wissenschaftsgebieten aktiv waren. Doch in der Neuzeit vollzog sich der patriarchalische Rollenwechsel in der Entwicklung der Professionen, der Frauen an Heim und Herd drängte. So wurde geschlechtsstereotyp dem Mann der Verstand und der Frau das Gefühl zugeordnet.
„Bis heute finden sich auf Persönlichkeitsfragebögen Vertrauen und Mitgefühl oft unhinterfragt auf der weiblichen Seite. Dagegen vereint die männliche sehr gewagt Aggression und Analytik.“ Natürlich fällt dann irgendwann der Name Elon Musk … Well, vielleicht ist die Argumentation ein wenig zu holzschnittartig, Intelligenz und Kompetenz werden synomym gebraucht. Doch bleiben die Frage trotzdem hoch brisant: Können wir uns einen asozialen Intelligenzbegriff leisten? Und was hat das mit KI zu tun?
Wegen dem Werkzeuggebrauch!
Besser:
Wegen des Werkzeuggebrauches!
Soziale Intelligenz ist nicht alles.
Was uns weiterbringt ist die kognitive Intelligenz.
Kognitive Intelligenz schlägt emotinale und/oder sozialeIntelligenz.
Ja, ich weiß – Rheinländerinsiderwitz: Dativ statt Genitiv … Aber Deiner These würde ich widersprechen: Kognitive und emotionale Intelligenz sind untrennbar. So u.a. Luc Ciompi. Und das mit der sozialen Intelligenz sollten wir mal vertieft diskutieren. Ich habe gerade ein Posting bei LinkedIn laufen. Die Intelligenzforscher:innen halten sich aber noch etwas zurück … warten wir es noch ein wenig ab.