27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Betriebsvereinbarung als Vision?

PRAXIS: Normal war eine ausgeprägte Anwesenheitskultur in deutschen Unternehmen. Dann kam Corona. Angesichts von moderaten Impfquoten und Intensivstationen, die (noch) nicht überlastet sind, machen sich jetzt viele Unternehmen Gedanken darüber, wie die Arbeit zukünftig gestaltet werden soll. Doch es gibt unterschiedliche Vorstellungen, wie das zu realisieren wäre (Seliger Blick in die Glaskugel) (Nichts für Schönwetterkapitäne).

Die Mitarbeiter wollen die im Homeoffice bewährten Freiheiten erhalten, die Führungskräfte die Mitarbeiter so schnell wie möglich wieder im Unternehmen sehen und unter ihre Kontrollfittiche bekommen (Den Kopf in den Sand). Als Kompromisslinie wird gerne eine hybride 2+3-Tage-Lösung diskutiert: Zwei Tage Homeoffice und drei Tage im Unternehmen. Doch ist das sinnvoll? Was sind die Konsequenzen?

Oder: Was wären Alternativen?

„Betriebsräte und Arbeitgeber sitzen in allen Unternehmen zusammen und erarbeiten gemeinsam Regeln, um zu definieren, wie mobile Arbeit dauerhaft sinnvoll in Unternehmen stattfinden kann und soll“, resümiert das Personalmagazin und widmet dem Themenkomplex in der Ausgabe 10/2021 einen ganzen Schwerpunkt. Erste Erkenntnis: Es ist gar nicht so einfach, den guten Willen in eine juristische Regel zu wandeln. Denn jedes Unternehmen, jede Abteilung ist anders. Man muss also differenzieren und man will auch flexibel bleiben.

Zunächst muss geklärt werden, worüber mal eigentlich sprechen möchte. Rechtsanwältin Paula Wernecke (Von der Ausnahme zur Regel in Rekordzeit) differenziert nicht nur zwischen „Telearbeit“, „mobiler Arbeit“ und „Homeoffice“, sondern legt auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats dar. Zudem sind da noch weitere gesetzliche Regelungen zu berücksichtigen. Und dann geht es in die Details: Für wen sollen solche Regelungen gelten (Geltungsbereich)? Welche konkreten Ausgestaltungen flexibler Arbeitsmöglichkeiten möchte man regeln (Modelle)? Es sollten auch Voraussetzungen für die Arbeit von zu Hause definiert werden. Dazu gehören u.a. Freiwilligkeit und Kostenübernahmen. Schwieriger wird es dann schon, wenn der Arbeitsschutz Thema wird. Die Regelungen, vor allem der Arbeitsstättenverordnung, lassen eine Gefährdungsbeurteilung und eine Unterweisungspflicht zwingend erscheinen. Hinzu kommen noch Datenschutzverpflichtungen und Regelungen zur Arbeitszeit. Kein Wunder, dass die Juristin zur Betriebsvereinbarung rät.

Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit

Nicht verwunderlich wäre allerdings ebenfalls, wenn hier gar mancher erster Schwung schon wieder erlahmen würde. Holger Schindler (Die neue Freiheit bei der Wahl des Arbeitsorts) beleuchtet die Risiken und Nachteile dezentralen Arbeitens und die unterschiedlichen Akzentsetzungen am Beispiel mehrerer Unternehmen. Dabei stechen zwei Anliegen heraus, die es zu managen gilt: Die Sorge vor der Verwischung der Grenze von Arbeit und Freizeit sowie das Anliegen, die neue Flexibilität mit dem Abbau von Büroflachen zu kombinieren.

Höchst lesenswert sind nun die Ratschläge des Altmeisters des Arbeitszeitmanagements, Andreas Hoff, in diesem Zusammenhang (Alte Fehler in der neuen Normalität) – und man wundert sich, warum die Redaktion diese an den Anfang des Schwerpunkts platziert hat. Denn Hoff verpasst der populären Diskussion durchaus einen nachdenklich machenden Dämpfer. Er zählt vier klassische Fehler auf, die die aktuelle Debatte überschatten:

Misstrauen schwebt über allem: Das kann nicht gut gehen. Vor Jahrzehnten habe man Regelungen wie Gleitzeit schon argwöhnisch beäugt, befürchtet, die Mitarbeiter würden die Freiheit bloß ausnutzen, Kundenorientierung und Wirtschaftlichkeit würden auf der Strecke bleiben. Es braucht den generellen Vertrauensvorschuss des Unternehmens. Aber auch einen Mechanismus, vertrauensunwürdige Mitarbeiter temporär aus der Regelung wieder herauszunehmen.

Kontrollwahn: „Arbeitszeitkontrolle ist bei mobilem Arbeiten mit den rechtlich zulässigen Instrumenten (und es ist gut, dass es in Deutschland diesbezüglich Einschränkungen gibt) nicht möglich.“ Hoff bringt den bekannten Kalauer seiner Arbeitszeitberatung an dieser Stelle zwar nicht, aber man kann sich leicht vorstellen, was mit „Management by Kasperle-Theater“ gemeint ist: Seid ihr alle da? Der Kontrollwahn ist nicht nur illusionär, sondern auch völlig unsinnig. Denn wer nur „da“ ist, muss noch lange nicht produktiv arbeiten. Deshalb rät Hoff dazu, ausschließlich in geregelter Vertrauensarbeitszeit zu arbeiten. Es müssen nur die arbeitszeitrechtlichen Vorschriften zu Höchstgrenzen und Ruhezeiten eingehalten werden. Das einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofs (2019) würde oft missverstanden. „Die Einhaltung seiner Vertragsarbeitszeit stellt der Mitarbeitende bei Vertrauensarbeitszeit vielmehr grundsätzlich eigenverantwortlich sicher.“

Festlegung fester Büro- und Mobilarbeitstage: Hier legt Hoff den Finger in die Wunde der aktuellen Diskussion und lässt gar manche Träume platzen. Die Vorstellungen fester Zeiten – wie sie 2+3-Tage-Modellen zugrunde liege – seien kontraproduktiv. Denn sie „entsprechen den Kernzeiten in (un-)flexiblen Arbeitszeitsystemen: Sie unterstützen weder kundenorientiertes noch wirtschaftliches Handeln und sollten daher gar nicht erst eingeführt werden“. Kundenorientierung verlange Flexibilität und nicht Restriktion. Und auch die betriebliche Kommunikation und Zusammenarbeit leide unter der Restriktion. Hoff rät also dazu, „den betrieblichen Arbeitsort zum Standard zu erklären und mobiles Arbeiten auf Mitarbeiterwunsch nur unregelmäßig und nach vorheriger Prüfung betrieblicher Erfordernisse zu ermöglichen“.

Ausdehnung der Arbeitszeiten: Das möchten viele Mitarbeiter gerne: Abends, frühmorgens und am Wochenende arbeiten, um das Privatleben zu optimieren. Was für den Mitarbeiter attraktiv erscheine, produziert aber Nebenwirkungen, weil es zulasten der Kundenorientierung und der betrieblichen Zusammenarbeit gehe. „Hierfür kann etwa ein Arbeitszeitrahmen an Werktagen von Montag bis Freitag zwischen 7 und 20 Uhr vorgegeben werden.“ Gesetzliche Mindestruhezeiten, Tageshöchstarbeitszeit sowie das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit können damit automatisch eingehalten werden.

Das New Normal, das viele preisen, ist vielleicht eher verrückt als normal. Und es muss vermutlich auch gar nicht unbedingt neu werden, wäre zu resümieren. Das müssen jetzt nur noch die Mitarbeiter einsehen.

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