KRITIK: „Wenn etwas seltsam ist in deiner Nachbarschaft, wen könntest du rufen?“ (Ghostbusters). Die 1980er-Jahre waren speziell. Man (er-)fand das Böse und gleich drauf die Rettung. Und beides beschäftigt uns noch heute.
Der Abgrund, der sich da zeigte, erwies sich als ein schwarzes Loch. Wer da einmal hineingefallen war, kam so schnell nicht wieder heraus. Was die Unternehmen, aber auch die Krankenkassen schmerzt. Seit vielen Jahren lehren uns deren Gesundheitsberichte gehörigen Respekt. Und das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) kann man als eine Reaktion auf das Ansteigen der psychischen Erkrankungen werten. Wobei dem Fokus auf Burnout auch immer wieder Einseitigkeit attestiert wird, weil hier das Individuum im Zentrum steht. Aber sind die Arbeitsbedingungen nicht ebenfalls wichtig? Also wenn schon, dann …
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Ein Frühwarnsystem
Autor Rüdiger Hossiep, seines Zeichens Altmeister der Psychodiagnostik, sieht diese Problematik („Ein Frühwarnsystem für HR“). Burnout sei seit 15 Jahren zu einem Buzzword verkommen. Vielleicht mag dazu auch die Schlichtheit des ersten Diagnostikums, das Maslach Burnout Inventory (MBI), beigetragen haben. Allerdings haben wir seitdem etliche Weiterentwicklungen gesehen, unter anderem vom Maslach-Kollegen Wilmar Schaufeli. Doch darauf geht Hossiep nicht weiter ein. Er hat schließlich ein eigenes Instrument entwickelt: Das Occupational Burnout Inventory (OBOI).
„Wir zielen darauf ab, zu einem früheren Zeitpunkt das Burnout-Risiko zu messen. Wir wollten ein handhabbares Instrument für Personalpraktiker bereitstellen als Frühwarninstrument, das niederschwellig einzusetzen ist.“ Also beispielsweise als Mitarbeiterbefragung. Mit dem Angebot an die Mitarbeitenden, anschließend das Einzelgespräch zu suchen. Der Fragebogen ist in fünf Skalen unterteilt: berufliches Leistungsdefizit, körperliche Beschwerden, intrapersonale Anzeichen, sozialer Rückzug und Erschöpfung.
Persönlichkeit und Umwelt
Aber welche Rolle spielt nun der Kontext, die Arbeitsumgebung? Hossiep wäre kein Personaldiagnostiker, wenn für ihn nicht die Stabilität der Persönlichkeit im Vordergrund stünde. Natürlich trete diese „in eine komplexe Interaktion mit der Situation ein“. Doch, so hat er noch eine raffinierte, immunisierende Argumentation parat: „Die Frage ist aber insofern obsolet, als eben persönliche Dispositionen dafür verantwortlich sind, welche Situationen jemand aufsucht, in denen es zu einer komplexen Interaktion kommt.“
Selbst schuld? Hossiep spielt auf das berufspsychologische Konzept der Gravitation an: Menschen suchen sich „ihre“ Unternehmen aus, Unternehmen suchen sich „ihre“ Mitarbeitenden aus. Wer also an einem „Helfersyndrom“ leidet, geht ins Gesundheitssystem. Und lässt sich da aufreiben – bis zum Burnout. Oder wird Lehrerin. Hossiep verweist darauf, dass man in diesem Beruf in der Berufsunfähigkeitsversicherung in ähnlich schwindelerregende Höhen eingruppiert wird wie Dachdecker. „Das hat einerseits etwas damit zu tun, was an einer Schule passiert, aber auch damit, was eine Person, die diesen Beruf ergreift, mitbringt.“
Ist Masochismus heilbar?
Doch der Diagnostiker beschäftigt sich mit den endogenen Faktoren, beispielsweise mit der emotionalen Stabilität. Nicht mit der Gestaltung des Kontextes. Das überlässt er anderen.
Das erinnert mich an den Leiter einer Krankenpflegeschule, den ich in meiner Zeit als Organisationsentwickler im Krankenhaus einmal bei Auswahlgesprächen begleiten durfte. Wer ihm auf die Frage nach der Berufswahlmotivation antwortete, sie wolle Menschen helfen, hat er richtig in den Schwitzkasten genommen: Ob sie denn wüsste, dass viele Krankenschwestern in den Burnout rutschen würden, weil sie sich zu wenig abgrenzen würden, vom Leid der Patienten, aber auch von Übergriffen und Vereinnahmungen seitens der Ärzteschaft? Dann fiel der Name Florence Nightingale, das Stichwort Professionalität – und sogar die Frage, ob man Kampfsport betreibe.
An die dickeren Bretter, die Themen Personalauswahl bei Fachkräftemangel, Unternehmenskultur, Hierarchie, aber auch gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung, wagt sich der Psychodiagnostiker nicht so richtig ran. Wahrscheinlich würde er mir augenzwinkernd antworten: Schuster bleib‘ bei deinen Buster-Leisten!