INSPIRATION: Die professionelle Entwicklung von Coaching erschien vielen in den letzten Jahrzehnten als endloser Streit von Verbänden und Schulen. Doch unter der Hand hat sich längst eine neue Lage etabliert – auch wenn das noch nicht jede/r bemerkt haben sollte.
Coaching ist ein eigenständiges Kommunikationsarrangement, das Elemente aus Beratung, Teaching und Training zwar integriert, aber von keiner dieser Disziplinen einverleibt werden kann. Ingo und Johanna Steinke (Die historische Entwicklung von Coaching zur Profession) legen nicht nur die Wurzeln unseres aktuellen Coaching-Verständnisses offen. Sie zeigen, dass Coaching primär ein Format der Arbeitswelt war und ist. Und zudem, dass es drei Vorläufer-Strömungen gab – und immer noch gibt.
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„Erstaunlicherweise ausgehend von Europa wird Coaching [ab den 1990er-Jahren] dezidiert als angewandt sozialwissenschaftlicher, externer, d.h. systemunabhängiger, dialogischer Reflexions- und Erprobungsprozess überwiegend für Manager und als funktionsunabhängiges Personalentwicklungsangebot für die Mitglieder einer Organisation entwickelt.“ Reisen wir also mit den Autoren einmal mehr als 100 Jahre zurück zu den Quellen.
Educational Coaching
Schon im Jahr 1800 wird im angloamerikanischen Umfeld ein unabhängiger Privatlehrer oder Repetitor für Studierende an Universitäten umgangssprachlich Coach genannt. Er bereitet Studierende auf Prüfungen vor. Interessant ist dies auch im Rahmen der dort gepflegten Debattenkultur (Debate Contests) – die man sich auch vermehrt für deutsche Lande wünschen darf (Contra).
Es geht also primär nicht um „Teaching“. Wissen ist bloß Voraussetzung. Es geht um Können. Also um konkrete Anwendung, um Taktik, um „Lernbegleitung im Praxisfeld“. Der Coach ist dafür Sparringspartner. Coaching ist „Entwicklung zu einem rollengerechten, methodisch versierten und sachlich richtigen Agieren“.
Sports Coaching
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „wird Coaching zusehends zu einem Begriff in der angloamerikanischen Sportpädagogik an den Hochschulen, Schulen und in entstehenden Sportclubs“. Auch dies ist eine Besonderheit der angloamerikanischen Kultur. Sportler sind prominente Vorbilder in der Gesellschaft. Der Sportplatz erscheint als Ort der Charakterbildung (mens sana in corpore sano – wie schon die alten Römer sagten). Und der Coach ist der Sportlehrer (physical education).
In den 1920er-Jahren kristallisiert sich zudem eine sportartunabhängige allgemeine Coaching-Methodik heraus, die die mentale Entwicklung und Rollenreifung der Athleten in den Blick nimmt. Coaching wird somit zum Synonym für die psychologische Seite von Physical Education. Womit sich die Frage aufwarf, wie diese beiden Seiten zusammenwirken können oder sollen (Coaching vs. Training). Zu Beginn der 1980er-Jahre wird dann Coaching im Sport zur Profession und „zu einer Wissenschaft mit ausgefeilten Administrations- und universitären Ausbildungsstandards, klarem Berufsbild, Kompetenzmodell und Qualifikations-Curricula“.
Managerial Coaching
Spätestens ab den 1950er-Jahren wird Coaching Teil von Management Development. Es geht – wieder überwiegend in der angloamerikanischen Kultur – um eine „praxisnahe Fallarbeit und Lernbegleitung“ von Mitarbeitenden durch Vorgesetzte. Also um Personalentwicklung vor Ort (learning by doing), und nicht durch die Spezialisten von HR. Auch dies eine US-amerikanische Besonderheit, die das deutsche duale Ausbildungssystem nicht kennt.
Miles Mace, Protagonist dieses Verständnisses, ist es aber auch, der dafür votiert, „Counseling“ ins Verhaltensrepertoire von Managern aufzunehmen. Damit die Manager vor Ort kompetenter für diese Aufgabe werden. Was zweischneidig ist, weil doch dieser Begriff und das dazu gehörige Konzept ursprünglich aus der Psychiatrie stammt. Schwer gewöhnungsbedürftig für Manager, die sich doch als die Tough Guys verstehen. Die Lösung scheint aber zu überzeugen: „Dass Manager nicht nur Business Administration, sondern People Development betreiben sollen.“
Wenn sich der Deutsche also aufregt über die Parole „Führungskraft als Coach“ (Haarspaltereien) und auf deren Widersprüchlichkeit verweist, würde der US-Amerikaner beschwichtigend antworten: „Er ist kein Coach, sondern auch Coach, so wie er Entscheider, Organisator, Controller ist.“ Womit wir wieder bei der transformationalen Führung wären. Aber auch beim Performance Improvement. Das macht es für den Deutschen nicht weniger widersprüchlich. Doch für den US-Amerikaner offensichtlich nicht: „Ein Coach lehrt, ohne zu belehren.“
Europäischer Sonderweg?
So stellt sich die Frage, ob die Konzeption eines externen Coaches, wie sie in Deutschland insbesondere mit dem Namen Astrid Schreyögg verbunden wird, ein konsequenter Ausweg aus dem Dilemma „Führungskraft als Coach“ darstellt. Oder ob es sich schlicht um einen europäischen Sonderweg handelt. Auf jeden Fall geschieht auf diese Weise eine Rollenklärung und damit verändert sich auch die Zielgruppe hin zum Externen.
Die Autorinnen resümieren: Der Begriff Coaching hat in der historischen Rekonstruktion drei unterschiedliche Bedeutungen (mit ansteigender Reichweite) angenommen:
- Coaching als Communication Skill (im Sport wie im Management): Man hat sich schlicht Know-how organisiert, um (instrumentalistisch und unter Absehung eines theoretischen „Überbaus“) die Lern- und Entwicklungsprozesse der Mitarbeitenden zu verbessern.
- Coaching als Methodik wird „in übergeordnete Konzepte, z.B. betriebliche Beurteilungssysteme oder Management- bzw. Personalentwicklungsprogramme im Management oder Strategien im Sport [eingebettet]“. Hier wird es nun stärker programmatisch.
- Coaching als Profession. Damit wird eine weitere Generalisierung realisiert, die in der Sportdomäne schon in den 1980er-Jahren stattgefunden hat. „Dazu zählt die Bezugnahme auf definierte sozialwissenschaftliche Disziplinen mit ihrem akademischen Wissensbestand und Methodenrepertoire.“ Diese Entwicklung vollzieht sich zeitverzögert hierzulande seit der Jahrtausendwende auch im Business-Coaching.
Der – in Deutschland ab den 1990er-Jahren beobachtbare – Kampf um die Deutungshoheit diverser Ansätze und Schulen wandelte (und befriedete) sich somit im Laufe der Zeit zu und auf eine(r) Metaposition: „Entwicklung von Coaching als eine[r] eigenständige[n], sozialwissenschaftlich fundierte[n] Profession.“
Ich kenne es aus eigener Erfahrung: ein Autor kann nur aus seiner Deutungssicht, seinem fachlichen Übersicht, seiner reflektierten Erfahrung und seien möglicherweise heimlichen Wünschen nur argumentieren.
Ich bezweifle die Aussage: „Entwicklung von Coaching als eine[r] eigenständige[n], sozialwissenschaftlich fundierte[n] Profession.“
Eine Meinung – aber auch die richtige Zusammenfassung der Historie? Ich sehe in solchen Ansichten nur die Beeinflussung des Menschen durch einen Menschen (Coach). Wie kann der Mensch/Coachee dann nachhaltig aus sich selbst zukunftsfähig werden?