REZENSION: Fabian Grolimund – Psychologische Beratung und Coaching. Lehr- und Praxisbuch für Einsteiger. Hogrefe 2024.
Fachbücher rund um die Themen „Coaching & Beratung“ wurden – lange nicht nur, aber auch – schon mannigfaltig bei MWonline – und an anderen Stellen vorgestellt. Damit muss sich jedes weitere Werk in diesem Kontext der – zugegeben provokanten – Frage stellen, ob es überhaupt noch gebraucht wird. Und als erstes Argument für eine solche Daseinsberechtigung zeichnet sich das hier vorgestellt Buch durch seine dritte, aktualisierte Auflage aus. Es hat also in der Vergangenheit anscheinend schon genügend positive Resonanz erfahren. Und die weitere Beschäftigung macht dann recht schnell klar, woraus sich diese ergibt: Dieses Buch ist besonders gradlinig und zielgruppenorientiert gehalten!
Anzeige:
Produktiv und kreativ bleiben und morgens wieder mit Freude und Elan in den neuen Tag gehen. Zur Webseite...
Der Einstieg mag noch etwas akademisch erscheinen, bei dem sehr anschaulich die unterschiedlichen Definitionen oder Überlappungen der Konzepte „Beratung“ und „Therapie“ gegenübergestellt werden. Spätestens danach dominiert aber eine sehr praxisorientierte DIY(=„Do-it-yourself“)-Darstellungsweise, angefangen bei den ersten, entscheidenden Minuten, bei denen ein möglicher Klient anruft. Unmittelbar daran schließt sich der zwischenmenschliche Beziehungsaufbau an, ohne den eine tragfähige Arbeitsbeziehung zum Scheitern verurteilt ist. Unbedingte Wertschätzung bei gleichzeitiger Echtheit, ggf. mit Selbstöffnung sind unverzichtbar. Neben Empathie samt der Fähigkeit, auch non-verbale Signale zu erkennen, sind dann auch professionelle Fragetechniken sowie weitere Gesprächsmethoden erforderlich.
Von Zielen, Problemen und Lösungen
Nach dem Erstgespräch werden diese Elemente in den folgenden Sitzungen, die im Buch beispielhaft beschrieben werden, weiter vertieft. Dabei gilt es in der Zielanalyse, ein oder mehrere attraktive Ziele zu finden, die im Beratungsprozess erzielt werden sollen. Daran schließt sich in der Wortwahl des Autors Fabian Grolimund – Leiter der Akademie für Lerncoaching in Zürich – die Problemanalyse an. Wobei etliche andere Fachleute in der Szene um diesen Begriff einen möglichst weiten Bogen schlagen würden und bestenfalls „Herausforderungen“ o.ä. thematisieren würden – was als Expertendiskussion aber rasch in eine wenig zielführende „Geschmacksache“ abdriften dürfte.
Die Problemanalyse wird dann gefolgt von einer Verhaltensanalyse, in der unvorteilhafte Muster erkannt und bestenfalls direkt korrigiert werden sollen. Dies wiederum mündet in die gemeinsame Lösungsentwicklung, durch die problematische Gefühle und Verhaltensweisen verändert werden sollen. Zum Abschluss gilt es, das Erreichte zu sichern, ggf. auch durch explizite Hausaufgaben, die zwischen den verschiedenen Sitzungen bearbeitet werden.
Die Zielgruppe
Laut Deckblatt richtet sich dieses Lehr- und Praxisbuch ausdrücklich an Einsteiger (auch im Original ohne zu Gendern). Und möglicherweise mögen Novizen im Thema an verschiedenen Stellen unmittelbar von der Lektüre profitieren können: Das Buch ist sehr verständlich geschrieben, die Leserschaft wird durchgängig persönlich angesprochen, das (Hogrefe-)Layout tadellos. Viele Beispiele simulieren mögliche Dialoge und Vorgehensweisen, ergänzt durch fragengeleitete Übungen. Insofern zeigt sich durch das klar erkennbare Primat der Praxis in Summe viel „Licht“. Gerade gegenüber den oft überbordenden theoretisch-akademischen Fachbüchern zum Thema.
2 Störfelder
Gleichwohl stört sich der Rezensent in seiner unmaßgeblichen eigenen Wahrnehmung an (mindestens) zwei Elementen: Zu Beginn wird die schon erwähnte Differenzierung zwischen Therapie und Beratung vorgenommen. Wobei der Buchtitel explizit „Psychologische Beratung und Coaching“ verspricht. Nun ist der Rezensent kein qualifizierter Therapeut und viele Inhalte dürften – verallgemeinernd – auch für das klinisch-therapeutische Setting gelten. Doch andererseits ersetzt die Lektüre dieses Buches GANZ bestimmt keine Therapieausbildung mit einer dahinter liegenden Schule sowie einem GANZ anderen Anspruchsniveau.
Bleibt also als Anwendungszweck des Buches viel mehr die professionelle, im weiteren Sinne business-bezogene Beratung. Insofern passt die Beschreibung überwiegend auf das klassische 1:1-Coaching-Setting. Nur würde die im Text enthaltene Darstellung viel greifbarer und präziser, wenn (möglicherweise schlichtweg durch den „Ersetzen“-Befehl im Textverarbeitungsprogramm) der durchgängig verwendete Begriff „Beratung“ durch „Coaching“ ersetzt worden wäre.
Denn „Beratung“ erscheint in den Augen des Rezensenten noch viel umfänglicher als „Coaching“ und kann in vielerlei Lebenslagen erforderlich werden. Nur ist reine „Beratung“ noch schwerer zu kapitalisieren als Coaching. Und insofern ist ein passender DIY-Ratgeber ein gutes Stück von der tagtäglichen Realität entfernt.
Etwas zu einfach
Damit drängt sich auch schon das zweite „Hick-up“ in der Bewertung auf: Im Prinzip stimmt alles, so wie es im Buch beschrieben wird. Dazu kommt viel guter, wohlmeinender Wille dem Leser als Anwender gegenüber. ABER: Dem Rezensenten erscheinen viele Beispiele zu eindimensional, die Beispieldialoge zu beliebig, die Lösungsvorschläge zu generisch, „unterkomplex“ könnte hierfür eine passende Zusammenfassung sein.
Getragen durch den „DIY-Anspruch“ im Sinne von: „So-wird’s-gemacht!“ verzichtet der Autor darauf, auf die Dilemmata hinzuweisen, in die jeder Beratende mehr oder weniger zwangsläufig stolpert: Wie wertschätzend kann ich sein, wenn meine Echtheit eigentlich eine überschaubare Sympathie zum Gegenüber vermitteln müsste? Wie reagiere ich, wenn entgegen besten Absichten der Beziehungsaufbau eben NICHT so gelingt, wie vorgesehen? Oder die Verhaltensanalyse eben zu KEINEN tragfähigen Veränderungen führt. Dies ist nun mal ein Stück weit vergleichbar mit ebenfalls wohlmeinenden YouTube-Tutorials, die zeigen, wie man einen Autoscheinwerfer ausbaut, aber eben nicht mehr weiterhelfen, wenn sich die dafür entscheidende Schraube nicht lösen lässt. Kurzum, das Buch hat bestimmt seine Leserschaft verdient. Aber es bewegt sich nun mal im weiten Ozean der Coaching-Literatur und muss sich darin bewähren, wobei im Sinne des Autors sogar noch die gesamte Therapie- und Beratungsliteratur dazugezählt werden müsste, was den Alleinstellungsanspruch dieses Werkes noch weiter reduziert …