3. Oktober 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Dynamisch moderieren

PRAXIS: Berater kennen das: Man trenne die Ideensuche von der Ideenbewertung. Es klingt ja auch einleuchtend, denn wer sein halbes Leben in Besprechungen sinnlos Zeit vertan hat mit endlosen Diskussionen, weil auf jeden Vorschlag sofort Kritik kam und man keinen Schritt weiterkommt, weil alles sofort zerredet wird, der muss an dieser Idee Gefallen finden. Da wundert man sich, dass diese Grundregel des Brainstormings noch nicht Allgemeinwissen geworden ist, bereits an Schulen gelehrt und Menschen so früh wie nur irgendwie möglich vermittelt wird.

Aber macht Sie gerade das nicht nachdenklich? Wenn diese Regel uns Menschen einen Vorteil bringen würde, nämlich jegliche Bewertung, jedwede Bedenken erst einmal zurückzustellen, bis dafür Raum gegeben wird, warum ist sie uns dann noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen? Weil wir offenbar so nicht funktionieren. Beurteilung und Bewertung stellen sich unmittelbar ein, wenn wir etwas sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen. Wir können gar nicht anders. Entwicklungsgeschichtlich sicher einfach zu erklären.

Als ich zum ersten Mal von Dynamic Facilitation hörte, war ich sofort überzeugt. Hier wird dieses Prinzip nämlich ausgehebelt, weil jeder Widerstand, jede Kritik, alle Bedenken sofort erlaubt sind. Statt sie zu „speichern“, zurückzustellen (wo sie fleißig weiter in uns arbeiten und davon abhalten, konstruktiv an neuen Ideen zu arbeiten), werden sie hier sofort aufgegriffen. Das Prinzip ist denkbar einfach:

Es gibt vier Flipcharts, überschrieben mit den Themen

  • Herausforderungen
  • Lösungen
  • Bedenken
  • Informationen

Und wie in jeder Moderation gibt es natürlich eine Fragestellung, die bearbeitet werden soll, die ursprüngliche Herausforderung. Und dann geht es auch schon los: Was immer geäußert wird, wird vom Moderator notiert. Die Rolle des Moderators besteht einzig und allein darin, „reflektiert zuzuhören“. Alles andere als einfach. Dazu gehört eine Grundhaltung, die davon ausgeht, dass jede Äußerung wertvoll ist. Hinter einer Befürchtung zu einer Lösung kann schon wieder eine eigene Lösung stecken. Oder eine neue Herausforderung. Oder umgekehrt. Wichtig ist, dass das, was geäußert wird, vollständig verstanden wird und der Kern des Gesagten notiert wird, möglichst in ganzen Sätzen.

Wichtig ist auch nicht, auf welchem Flipchart die einzelne Äußerung schließlich steht, einzig und allein die Tatsache, dass es festgehalten und sichtbar wird, ist von Bedeutung. Der Moderator – und das macht die Sache richtig spannend – versucht zu keinem Zeitpunkt, die Gruppe zu einer Einigung zu führen. Durch die vielen Flipcharts mit den Fragestellungen, Lösungen etc. entsteht nach und nach ein umfassendes Bild der Problematik, und irgendwann, so das Versprechen, kommt es zu einem Aha-Erlebnis, zur „Konvergenz“, einer Lösung, die so offensichtlich ist, dass jeder im Raum sie sofort nachvollziehen und ihr zustimmen kann.

Das klingt zu schön um wahr zu sein? Man muss es wohl erlebt haben, um es zu glauben. Klar ist auch, dass dies nicht im ersten Treffen passiert, die Fachleute empfehlen eine Abfolge von vier Sitzungen von je zwei bis drei Stunden, wobei möglichst nicht mehr als eine Woche zwischen den Treffen liegen sollte. Was wiederum deutlich macht, dass „Dynamic Facilitation“ bei schwierigen Fragestellungen eingesetzt werden sollte. Aber wenn wirklich anspruchsvolle Probleme in vier Meetings gelöst werden – wäre das nicht wunderbar?

Neben der Grundhaltung des reflektierten Zuhörens und des Wertschätzens eines JEDEN Beitrags gehört dazu das Vertrauen in die Intelligenz der Gruppe – beim Moderator und auch beim Auftraggeber. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte, sonst würde er ja ein Problem nicht dieser Gruppe anvertrauen. Aber derartig „unstrukturiert“ arbeiten zu lassen, dazu gehört schon viel Vertrauen. Es lohnt sich!

(Nach Rosa Zubizerreta / Matthias zur Bonsen: Dynamic Facilitation, Beltz 2014 und Matthias zur Bonsen: Ganz anders moderieren. managerSeminare 03/2005, S. 54-59)

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