INSPIRATION: Empathie hat sich als Begriff behauptet. Er bezeichnet die Fähigkeit, sich in andere einfühlen zu können. Wobei noch einmal zu unterscheiden ist zwischen Einfühlen und Mitgefühl. Und es sogar noch komplizierter ist. Jemand erkennt, dass ein anderer traurig, glücklich, zufrieden, wehmütig ist – ein eher intellektueller Vorgang. Reicht für Empathie wohl noch nicht. Dazu muss man das entsprechende Gefühl nachempfinden, also spüren, was der andere fühlt. Was aber nicht so weit geht, dass man mitleidet, mittrauert, ebenfalls Schmerz oder Wut erlebt. Das wäre dann Mitgefühl.
Ist diese Unterscheidung wichtig? Mir scheint es vor allem darum zu gehen, ob ich auf der einen Seite überhaupt etwas von den Gefühlen anderer mitbekomme und auf diese reagiere oder auf der anderen Seite mich von ihnen anstecken lasse, sie ebenfalls intensiv erlebe. Was ja auch nicht unbedingt dramatisch sein muss: Wenn ich mich von der Freude und Begeisterung anstecken lasse oder ich mitleide, wenn es einem nahestehenden Menschen schlecht geht – solange ich mich davon nicht zu Aktivitäten hinreißen lasse, die ich später bereue, ist es doch in Ordnung, oder?
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Was hat das nun alles mit Impathie zu tun? Den Begriff hat eine Psychologie-Professorin eingeführt (Schlüsselfaktor Impathie). Der Gedanke klingt logisch: Kann jemand, der nicht in der Lage ist, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen, Verständnis für andere aufbringen? Wohl kaum. Aber was bedeutet es, „die eigenen Gefühle und die eigene Situation wahrnehmen und verstehen zu können?“ Vielleicht so: Ich merke, dass ich auf bestimmte Ereignisse, Äußerung und Verhalten anderer zum Beispiel, mit Unbehagen reagiere. So wie ich auf bestimmte Speisen mit Unwohlsein reagiere. Oder dass ich mich wie aus heiterem Himmel fröhlich fühle. Oder unzufrieden. Aber so richtig benennen kann ich diese Gefühle nicht, ich bin mir selbst fremd.
Menschen mit der Fähigkeit der introversiven Empathie hingegen können diese Empfindungen benennen, beschreiben und wissen, woher sie kommen. Und können darauf aufbauend dann auch Mitgefühl mit sich selbst entwickeln. Das klingt dann schon nach Selbstmitleid. Aber warum nicht – wenn man sich hin und wieder mal selbst leid tut – so lange man nicht darin versinkt.
Neuer Begriff und seine Folgen
Also ein neuer Begriff. Man könnte es auch bei Selbst-Empathie belassen. Haben wir an anderer Stelle schon beschrieben und eine schöne Übung dazu gefunden (Selbstempathie-Übung). Brauchen wir diesen neuen Begriff? Die Professorin erklärt, dass Sprache Wirklichkeit erzeugt. Wenn viele Menschen den Begriff kennen und nutzen, existiert für sie so etwas wie Impathie. Man kann sich darüber austauschen, man kann das Konstrukt wissenschaftlich erforschen – und man kann Trainings dazu anbieten. Und weil Impathie nun mal die Voraussetzung für Empathie ist, finden sich dafür sicherlich auch Unternehmen, die ihren Führungskräften solche Trainings verschreiben.
Was mich eher abschreckt. Ich stelle mir vor, neben den ganzen Trainings zur Kommunikation, Empathie, emotionalen Intelligenz, Achtsamkeit, Resilienz usw. nun auch noch der Titel: Impathie-Training. Vermutlich mit der Begründung, die auch andere für ihre Konstrukte in Anspruch nehmen, dass Impathie die Voraussetzung für alles andere ist. Genauso könnte man allerdings auch argumentieren, dass Impathie und Empathie ohne Achtsamkeit nicht funktionieren. Also erst einmal Meditationskurse absolvieren.
Letztlich aber ist es sicher keine schlechte Idee, den Menschen zu helfen, Zugang zu den eigenen Empfindungen zu finden. Wann immer man zum Beispiel im Rahmen von Trainings zur gewaltfreien Kommunikation Menschen bittet, Begriffe für Gefühle zu nennen, staunt man, wie wenige ihnen einfallen. Meist sind sie ganz überrascht, wenn man dann eine Liste möglicher Begriffe vorstellt. Wie soll man lernen, mit eigenen Gefühlen umzugehen, wenn man sie nicht einmal benennen kann? Wenn also der Begriff der Impathie hier hilft – nur zu.