INSPIRATION: Haben Sie auch schon häufiger versucht, andere Menschen zum Umdenken zu bewegen? Das begegnet uns inzwischen an vielen Stellen, die Brand eins hat dem Thema ein ganzes Heft gewidmet. Auch hier lesen wir die Aufforderung, z.B. in Sachen Mobilität, was ziemlich überzeugend ist (U-Turnen). Aber nutzen solche Appelle? Haben Sie jemals einen Menschen zum Umdenken gebracht?
Der Philosoph René Weiland (Lass dich dezentrieren) bezeichnet diese Appelle als Unsitte, als anmaßend und gar schamlos. Wer so etwas fordert, unterstellt den Menschen, dass sie nicht selbstständig denken können, und das erzeugt eher das Gegenteil. Tatsächlich denken wir nämlich immer, wir können gar nicht anders. Es gehört zum Menschen, dass er versucht zu verstehen, was mit ihm los ist. Neues Denken entsteht immer dann, wenn etwas „unsere Aufmerksamkeit erregt, etwas, das von außen an uns herangetragen wird.“ Wenn uns also etwas passiert, das uns aufwühlt, löst es Gefühle und Gedanken aus, wir müssen uns durch das, was passiert, „hindurch wühlen“.
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Denken wagen
Wenn ich das richtig verstehe, funktioniert es nicht über Wissen. Wissen „ist gedachtes Denken … all das, was zu Theorie geronnen ist“. Es hilft, Dinge einzuordnen, zu verstehen. Beim Denken hingegen lassen wir Dinge, die uns beunruhigen, an uns heran. Wir müssen die Irritationen verarbeiten, filtern, passend machen. Insofern können Ansprache, Ermunterung, Störungen durchaus neues Denken anregen. Das macht uns zwar Stress und wird von Selbstzweifeln begleitet. Aber beides ist die Voraussetzung, um die Welt neu zu sehen, um „umzudenken“. Denn dann kommt irgendwann „der Punkt, an dem wir uns durchgekämpft und auch selbst kennengelernt haben“ und wissen: „Ich schaffe das!“ In dem Moment haben wir uns weiter entwickelt.
Das Problem ist: Sind die Einflüsse, die Irritationen zu stark, ist das wie eine innere Überflutung, wir erstarren. Ob das der Grund ist, warum viele Menschen lieber an Verschwörungstheorien glauben, Demagogen hinterherlaufen und der Vergangenheit nachtrauern, ist schwer zu sagen. Zumindest ist es wohl der Grund, warum es wenig hilft, mit noch mehr Forderungen zum Umdenken um die Ecke zu kommen.
Mutig bleiben
Aber wie kann man dann mit dem Offensichtlichen, dass vieles nicht mehr so weitergehen kann wie bisher, umgehen? Der Philosoph macht uns Mut. Vor allem brauchen wir ein Grundvertrauen in uns selbst. Wir schwanken immer zwischen aktiv sein und Fatalismus. Mal sind wir voller Zuversicht, dann wieder voller Pessimismus. Vielleicht, so die interessanteste Botschaft, sollten wir mehr mit dem Zufall rechnen und lernen, mit dem Unvorhersehbaren umzugehen. Das hilft uns als Individuen beim Umgang mit den gewaltigen Herausforderungen vielleicht ein wenig.
Entscheidungsträger aber können schlecht argumentieren: „Hoffen wir auf die Zufälle, vielleicht kommt noch ein Virus um die Ecke oder ein Krieg oder welche gewaltige Katastrophe auch immer, die uns dann keine andere Wahl lässt als umzudenken.“ Also werden wir wohl weiter genau dazu aufgefordert werden. Mit weiterhin mäßigem Erfolg.