INSPIRATION: Immer wieder liest man begeisterte Berichte über die Einführung von Agilität in Unternehmen. Da freut man sich, wenn ein Unternehmen auch schwierige Themen anspricht und zur Diskussion einlädt.
Der AXA Konzern befindet sich seit sieben Jahren in einem umfassenden Transformationsprozess. Interessanterweise ist man nicht ins kalte Wasser der Agilität gesprungen, sondern hat begriffen, dass man das Unternehmen vorbereiten und die Mitarbeitenden dort abholen muss, wo sie stehen. Folglich startete man zunächst einen wertegetriebenen Dialog. Es wurde also intensiv über die Unternehmenskultur – wozu selbstverständlich auch das Führungsverständnis gehört – gesprochen. Eine weise Herangehensweise. Denn das Sprechen über Kultur kann diese schon verändern (Zuhören lernen).
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Seit dem Jahr 2020 geht es bei der AXA methodisch und organisatorisch um die Umsetzung der Transformation. Eine der beiden Autorinnen, Jutta Solga, hat von diesem Prozess im Webtalk mit MWonline schon lebhaft und unter großer Beteiligung berichtet (Agile Teams bei der AXA). Im Changement-Beitrag (Agile Transformation) berichten beide nun von den höchst wichtigen Wirkfaktoren der Transformation, die das Publikum zumeist weniger sexy finden: Fragen zu strukturellen Veränderungen, zur Vergütung und zur Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat.
Flächendeckende Umstellung der Organisation?
Agile Arbeitsweisen machen nicht überall im Unternehmen Sinn. Wenn man aber zweigleisig fährt, wird es kompliziert. „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, agile Strukturen nur in den Einheiten einzuführen, die eine hohe Komplexität bewältigen und die laufend sich verändernde Themen bearbeiten müssen.“ Mittels einer Matrix (Dynamik/Komplexität) wurden nur die Bereiche umgestellt, die in beiden Aspekten eine hohe Ausprägung aufwiesen. Die Veränderungen in der Ablauf- und Aufbauorganisation betrafen 25 Prozent der Belegschaft. Thematisch wurden 14 Bedürfniswelten-, Journey- und Enabler-Tribes definiert.
Geteilte Führung
In Anlehnung an das sogenannte Spotify-Modell wurde Führung auf verschiedene Rollen aufgeteilt (Was? – Product Owner, Wer? – Chapter Lead, Wie? – Agile Master). Es sollten aber keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden. So war einiges an Diskussionen und „Motivationsarbeit“ in der Belegschaft nötig. Das neue Rollenkonzept (geteilte Führung) kollidierte zudem mit dem alten Vergütungsmodell (Leitende Angestellte) und forderte auch klare Entscheidungskriterien für die Personalauswahl. Es wurden deshalb Potenzialanalysen durchgeführt. Über ein Punkte-System (begrenztes Vergütungsbudget) wurden schließlich die Besetzungen realisiert. Man kann sich vorstellen, dass Ängste und Sorgen bei diesen Themen besonders ausgeprägt waren. Wie sagt ein befreundeter Vergütungsberater so treffend: Das Portemonnaie ist das empfindlichste Körperteil des Menschen.
Mitbestimmung
Eine erste Betriebsvereinbarung wurde schon im Jahr 2016 unterzeichnet. Doch reichte sie nicht aus. Denn Agilität bedeutet mehr Freiheiten für die Mitarbeitenden in den Teams. „Hier standen wir vor der Herausforderung, den Tribes einerseits ausreichend Flexibilität zu geben, damit sie schnell auf verändernde Rahmenbedingungen reagieren können, andererseits Mitbestimmungsrechte nicht zu konterkarieren.“ Daher mussten in einer neuen Betriebsvereinbarung „die neuen agilen Rollen, die Designkriterien, die Besetzungsverfahren sowie der Umgang mit Veränderungen“ definiert werden. Was aber nicht ausreichte, denn der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Letztlich konnte ein regelmäßiges Berichtswesen, das den Betriebsrat zeitnah informierte und ihm die Möglichkeit eröffnete einzugreifen, das Umsetzungsproblem pragmatisch lösen. Zudem wurden sogenannte Besetzungskonferenzen implementiert, in denen alle Beteiligten an einen Tisch zusammenkommen.
Ein rollender Stein setzt kein Moos an
Nach ersten Aufregern stellte sich rasch Routine ein. Oder – um es genauer zu sagen – die Prozesse mussten sich halt einspielen. Was viel Engagement und Diskussionen verlangte. Aber zunehmend leichter wurde. Damit man es sich allerdings nicht zu einfach macht, sich vielleicht unter der Hand wieder alte Muster einschleichen, wurde eine „Agile Performance Gilde“ eingeführt. Die Gilde als Gremium führt regelmäßig Interviews durch, misst die agile Akzeptanz und checkt die Performance. Und erfüllt damit eine gewisse Wächterfunktion. – Ein schönes Praxisbeispiel, das auch Themen anpackt, die man sonst leicht übergeht. Ohne die aber nichts geht.