INSPIRATION: Menschen tun immer wieder Dinge, die anderen schaden, ohne das eigentlich zu wollen und ohne es zu merken. Dafür steht der Begriff „ethische Blindheit“. Das Beispiel, um das es hier geht, handelt von Führungskräften und/oder Unternehmern, die Mitarbeitenden, die loyal und engagiert sind, die nötige Wertschätzung verweigern. Zum Beispiel dadurch, dass sie ihnen bei Gehaltsverhandlungen weniger bieten als potenziellen Kandidaten von außen. Oder dass sie ihnen deutlich mehr Arbeit aufhalsen, als jenen, die weniger Identifikation mit dem Unternehmen zeigen.
Letzteres konnten Forscher durch ein einfaches Experiment belegen. Sie gaben Führungskräften per Zufall Profile von Mitarbeitenden in die Hand. Dann sollten sie entscheiden, wen sie um Überstunden bitten würden. Na, wen werden sie wohl ansprechen? Natürlich diejenigen, die auch in der Vergangenheit immer brav Ja gesagt hatten. Ob das ethische Blindheit ist oder einfach der Tatsache geschuldet, dass man von diesen weniger Widerspruch oder überhaupt ein Ja erwartet, lassen wir mal dahingestellt sein.
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Wertschätzung
Fakt ist aber, dass Loyalität häufig nicht wirklich die angemessene Wertschätzung erfährt. Wie lässt sich das ändern? Hier erst mal die Tipps für die Führungskräfte. Anschließend einige Empfehlungen für alle, die sich unter Wert behandelt fühlen. Wobei das Erste schnell getan ist: Bezahlen Sie den Menschen, die sich durch jahrelange Treue und Engagement auszeichnen, angemessen. Ich kann mich an Zeiten erinnern, das stieg das Gehalt automatisch mit entsprechender Betriebszugehörigkeit. Irgendwann kam der Ruf nach „leistungsorientierter Vergütung“ auf. Seitdem galt es als verpönt, so etwas wie Betriebszugehörigkeit überhaupt als Gehaltsfaktor zu akzeptieren. Nun lese ich von Unternehmern, die Prämien zahlen, wenn jemand drei Jahre im Unternehmen ist, ebenso nach fünf und nach zehn Jahren. Mit der logischen Begründung: Man muss belohnen, was man erwartet – und das ist heute mehr denn je langjähriges Engagement (Sammeln Sie Treuepunkte?).
Nun kenne ich natürlich die Einwände: Das wird zum einen teuer und zum anderen belohnt man damit ja auch Menschen, die nicht so engagiert sind – für bloße „Ausdauer“. Das zweite Argument habe ich nie verstanden: Wer Menschen beschäftigt, die wenig leisten für ihr Geld, der muss doch vorher aktiv werden und nicht anderen, die sich einbringen und auch dem Unternehmen die Treue halten, die Wertschätzung verweigern. Das ist doch ganz einfach: Wenn man denjenigen, die drei Jahre dabei sind, eine Prämie zahlt und dabei denkt „eigentlich hat er sie nicht verdient!“, dann kann man sich doch auch gleich trennen.
Dass es teuer ist, stimmt natürlich. Oft lässt sich der „Aufpreis“ offenbar einsparen, weil viele der Leistungsträger ihn gar nicht fordern. Oder bleiben, obwohl man ihnen die Treue nicht dankt. Aus unterschiedlichen Gründen. Weil auch für sie ein Wechsel teuer ist, mit viel Aufwand verbunden, vielleicht mit längeren Wegen und eventuell weniger netten neuen Kollegen. Also zeigt man sich in Gehaltsverhandlungen eher knausrig und baut darauf, dass diejenigen dann trotzdem bleiben. Da kann man noch so eindrücklich darauf hinweisen, wie viel teurer es wird, wenn der Mitarbeitende doch plötzlich kündigt.
Offene Karten
Wie wäre es mit diesem Tipp: Spielen Sie mit offenen Karten. Erklären Sie im Gehaltsgespräch dem Mitarbeitenden, dass Ihnen klar ist, dass vermutlich ein Neuer mehr fordern könnte. Aber Sie sich freuen würden, wenn der langjährige Kollege mit einer moderaten Erhöhung zufrieden ist. Und fragen Sie ihn, welche Dinge sich ändern müssten, damit er sein Engagement wie bisher aufrecht erhalten wird. Da gibt es viele Möglichkeiten, angefangen von mehr Urlaub, weniger Überstunden, ein höhenverstellbarer Schreibtisch oder was auch immer. Wenn er aber klarmacht, dass ohne eine angemessene Gehaltserhöhung seine Loyalität in Frage gestellt ist, dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig als abzuwägen, was demgegenüber eine Neueinstellung kosten würde.
Und der Rat für alle, die lange Jahre im Unternehmen sind und feststellen, dass sie um jeden Cent ringen müssen, während die Neuen ohne große Verhandlungen zum Einstieg schon mehr erhalten? Spielen Sie ebenso mit offenen Karten. Erklären Sie Ihrem Chef, wie es sich anfühlt, brav jede Mehrbelastung zu tragen und dann zu hören bekommen, ob ein Tankgutschein als Gehaltserhöhung reicht. Oder noch deutlicher: Erklären Sie, warum Sie gerne Ihren Job machen und auch gerne im Unternehmen sind. Aber fragen Sie dann, was sie fordern könnten, wenn Sie sich um Ihren eigenen Job bewerben würden, wenn dieser frei würde. Und überlegen sich vorher, welche Dinge sie gerne hätten, wenn Sie großzügig auf einen Teil der Differenz verzichten. Eben weil Sie gerne bleiben würden.
Die Tipps in der Wirtschaftswoche finde ich weniger ansprechend. Da wird geraten, immer wieder mal fallen zu lassen, was man gerade leistet. Den Chef in Kopie zu nehmen, wenn man ein Projekt beendet hat. Vor dem Urlaub eine schriftliche Übergabe machen und dem Chef eine Kopie zukommen lassen. Oder sich beim „Oberchef“ vorstellen und andeuten, dass Sie an einem (internen) Wechsel interessiert sind. Mit anderen Worten: Kräftig und regelmäßig Lobbyarbeit in eigener Sache machen. Sicher, es ist nicht verkehrt, seine Leistungen im rechten Licht erscheinen zu lassen. Aber eine Umgebung, in der jeder ständig zeigen muss, was er so drauf hat, stelle ich mir nicht sonderlich angenehm vor.