4. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Fröhlich auf der Schussfahrt wenden?

INSPIRATION: Vom Autor stammt ein zehn Jahre alter Rückblick auf 30 Jahre Organisationsentwicklung (OE), auf die Geschichte ihrer Professionalisierung, Ausdifferenzierung und Akzeptanz. Sie endet mit dem Fazit, dass OE als Frage nicht mehr ohne ihren Kontext diskutiert werden könne. Und dieser Kontext sei die Nachhaltigkeit von Wirtschaften. Schon die Finanzkrise von 2008 hatte offenbart: Wir sitzen alle in einem Boot. Die organisierte Verantwortungslosigkeit durch eine systemische Entkopplung führt in weltweite Krisen, die sich niemand wünschen kann.

Autor Joachim Freimuth (Nicht mehr normal) unterteilt – sozusagen als Fortsetzung seines Rückblicks auf 30 Jahre – die jüngste Dekade in drei Abschnitte:


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  • Optimismus: Präsidentschaft von Barack Obama, arabischer Frühling
  • Ernüchterung: Nahost-Konflikt, Flüchtlingskrise, Terror, Brexit-Diskussion, Präsidentschaft von Donald Trump
  • Krisenbewusstsein: Extreme Wetterlagen, populistische Politik, Digitalisierung, Pandemie

Sein Fazit: Die Krise ist bei uns zuhause angekommen: „Disruptive Innovationen, Zerstörung und riskante Erneuerung, allgegenwärtige Krisen und eine ungebremste Effizienz-Diktatur – das ist zusammengefasst das Szenario, in dem sich Change Management in diesem Jahrzehnt bewegt.“ Das Change-Verständnis spiegelt seiner Meinung nach die genannten drei Phasen wider.

Phase 1

Auch OE startet noch pragmatisch in die 10er-Dekade: Mit prall gefüllten Tool-Books, der von Kübler-Ross adaptierten (und fürs Change-Management umgedeuteten) sogenannten Change-Kurve, deren implizite Botschaft lautet: Shit happens! In der Rede vom „normalen Wahnsinn“ sind Krisen bloß Ausnahmen von der Regel. Am Ende wird alles gut!

Mitte der Dekade nimmt die Digitalisierung Fahrt auf und erschüttert gar manche Grundfeste. Disruption wird in großem Stil sichtbar. Was wäre, wenn Lewins Phasenmodell (unfreeze – move – refreeze) unbrauchbar würde, weil es keinen Anfang und kein Ende mehr gäbe? Keine schrittweise (inkrementelle) Veränderung – und damit auch keine Referenzpunkte mehr: Nur noch Change. Was tun?

Phase 2

Das neue Programm lautet daher: Daten sammeln (Big Data), um das Undeutbare besser deuten zu können (Analytics). Als zweites werden Methoden benötigt, das Unlösbare zu lösen. Agilität heißt die Parole: „Just do it“. Selbstorganisation, dezentrale und virtuelle Arbeitsformen, Netzwerken werden Pflicht, Grenzen verschwimmen, Rollendefinitionen werden klärungsbedürftig – „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ (Precht). Und zum Dritten muss das Nicht-Organisierbare organisiert werden. Man muss zweigleisig arbeiten, die alte Effizienzwirtschaft (Butter und Brot) weitertreiben und zugleich radikale Innovationen entwickeln. Man nennt das neudeutsch Ambidextrie. Ein Schelm, der solches mit Paradoxie oder sogar Schizophrenie in Verbindung bringen will – und allüberall Konflikte wittert.

Phase 3

Zum Ende der Dekade dramatisiert sich die Lage zusehends: Veränderungsdynamiken schaukeln sich hoch. Unsicherheiten wachsen. Wohin soll denn die Reise gehen? „Nichts bringt den Wandel im ‚Zeitgeist‘ so gut auf den Punkt, wie die beiden Sätze ‚wir schaffen das‘ vs. ‚auf Sicht fahren‘.“ Der Autor nennt dies „akzelerierenden Change“. Menschen erleben die Welt zusehends als widersprüchlich, bedrohlich und anstrengend: „Wer kann sich Geschäftsmodelle vorstellen, wo regelmäßig und fröhlich auf der Schussfahrt gewendet wird, auch wenn markige Überschriften es versprechen?“

Gibt es einen Ausweg?

Wenn sich Autor Joachim Freimuth auf den Risikoanalytiker Nassim Taleb (Der schwarze Schwan) bezieht, dann übernimmt er einerseits dessen skeptische Einschätzung gegenüber einer heilen Welt, die wir uns alle so sehr wünschen. Andererseits würdigt er dessen Konzept der Antifragilität: „Bei bedrohlichen Krisen und akzelerierendem Change kann das einzige verbleibende Steuerungskonzept, nämlich auf Sicht zu agieren, nur Erfolg haben, wenn es Überschussressourcen gibt.“ Damit ist Capacity Buiding, „nicht komplett zweckgebundene Investition in Infrastrukturen, in Expertise und vertrauenswürdige Institutionen,“ gemeint. Der Autor bemüht den durchaus umstrittenen Begriff der Resilienz dafür und fordert ein „sozioökologisches Verständnis von Change.“

Die alte, individualistische Effizienzlogik hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Für die Zukunft, wenn wir sie denn erleben wollen, brauchen wir einen nachhaltigen Ansatz. Die organisierte Verantwortungslosigkeit durch eine systemische Entkopplung muss in eine verantwortungsvolle, systemische Kopplung transformiert werden.

Man mag die Analyse als überzogen und sophisticated bezeichnen. Doch sie ist nicht nur plausibel, sondern wird auch von etlichen anderen Vordenkern geteilt. In diesem Sinne darf die Leserschaft gespannt auf die OE-Diagnose im Jahr 2031 sein. Und vielleicht hat uns die Corona-Pandemie schon eines gelehrt: Es gibt schwarze Schwäne!

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