INSPIRATION: So sind sie, die Menschen. Da stellt ein Unternehmer seinen Mitarbeitenden eine interessante Frage, nämlich: „Was müssen wir euch bieten, damit ihr bis zur Rente bei uns arbeiten wollt?“, und 80% antworten, dass sie weniger arbeiten wollen. Also verkündet er eines Tages, dass es soweit ist: Im Rahmen eines Experimentes der Uni Münster führt das Unternehmen, das Holzbauprojekte plant und umsetzt, die Vier-Tage-Woche ein. An vier Tagen arbeiten alle eine Stunde mehr, am Freitag ist frei. Von 40 auf 36 Stunden, bei vollem Lohnausgleich (Weniger strengt an!).
Und was bekommt der Unternehmer zu hören? „Was ist im Urlaub? Kann ich nicht an einem anderen Tag frei bekommen? Was ist mit Überstunden?“ Undankbar, möchte man meinen. Andererseits: Nicht jeder kann mal so eben eine Stunde länger im Betrieb bleiben, und nicht jedem fällt es leicht, morgens eine Stunde früher anzutreten. Außerdem fällt mir bei der Geschichte auf, dass vermutlich nicht alle in die Planungen einbezogen worden waren – wäre also ein Tipp bei solch gravierenden Veränderungen.
Was das bringt – und was der Preis ist
Aber nun zu den Erfahrungen des Handwerksbetriebes – denn das ist der eigentliche Clou: Von den 45 an dem Experiment teilnehmenden Unternehmen kommen nur fünf aus dem Handwerk oder der Industrie. Da ahnt man schon, dass die Vier-Tage-Woche hier deutlich schwieriger umzusetzen ist. Aber bei Finnholz war es nicht nur die Experimentierfreude, die zu dem Schritt bewegte. Man tat sich immer schwerer, das notwendige Personal zu finden. Nun kommen wieder mehr Bewerbungen rein, außerdem sind die Leute seltener krank.
Allerdings bedeutete der Schritt auch jede Menge organisatorischer Aufwand. Und erfordert Flexibilität. Einerseits galt es, klare Regeln zu definieren. Zulieferern und Kunden musste klar gemacht werden, dass die Menschen freitags nicht erreichbar sind, Mails und Anrufe erst am Montag wieder bearbeitet werden. Weitere Regelungen: 24 statt 30 Urlaubstage, Feiertage, die auf einen Freitag fallen, werden nicht nachgeholt, fallen sie auf andere Tage bleibt, haben alle zwei Tage frei. Überstunden werden an „normalen“ Tagen abgebaut.
Inoffizielle Regeln
Spannend: Es gibt auch inoffizielle Regeln. So erwartet man, dass Arztbesuche auf den Freitag gelegt werden. „Ein Geben und Nehmen“, es funktioniert. Und was, wenn auf den Baustellen am Freitag Probleme auftreten? Dann muss halt doch jemand ran, auch am Freitag. Die Zeit zählt als Überstunde. Und als die Auftragslage es erforderte, wurde auch wieder an sechs Freitagen gearbeitet. Die Mitarbeitenden ziehen mit, denn die zusätzlich freie Zeit wollen sie nicht mehr missen.
Auch interessant: Die neue Situation macht erfinderisch, man ging auf die Suche nach Zeitfressern. Übergabeprotokolle werden von einer KI formuliert, sie hilft auch bei der Formulierung von Protokollen bei Videomeetings. Und auch das mit dem freien Freitag wird inoffiziell nicht so ganz genau genommen. Einige schaffen die neun Stunden an den übrigen Tagen nicht, schätzen es aber, ungestört ein paar Stunden am Freitag zu arbeiten. Funktioniert, so lange nach außen klar kommuniziert wird, dass am Freitag niemand erreichbar ist. Ein komplettes Unternehmen auf Teilzeit.
Es gibt offenbar trotzdem Menschen, die gerne wieder freitags arbeiten möchten. Die Lösung für Unternehmen, die attraktiver sein wollen, liegt vermutlich nicht in der Vier-Tage-Woche, sondern in der der immer stärker gewünschten Flexibilität in Sachen Arbeitszeit und – ort. Da wird es noch manche Experimente brauchen.
Und noch ein Verdacht: So sehr alle die neue Freizeit schätzen – irgendwann werden sich alle daran gewöhnt haben und neue Wünsche äußern. Und ein Weg zurück wird vermutlich kaum noch möglich sein, aus dem Neuen wird rasch eine Gewohnheit und damit selbstverständlich. So sind wir Menschen.