KRITIK: Wer stets die Wahrheit spricht, schadet seiner Karriere, behauptet die Wirtschaftswoche. Und präsentiert Beispiele von Menschen, die sehr erfolgreich waren, aber am Ende über ihre Lügen gestolpert sind (Führen durch Flunkern). Die Frage aber bleibt: Muss man manchmal lügen, wenn man es zu etwas bringen will?
Im Zeitalter eines D. Trump ist es sicher wenig überzeugend zu vertreten, dass Lügen nicht lohnt. Das beginnt beim Vorstellungsgespräch, setzt sich fort, wenn der Chef eine „ehrliche Meinung“ hören will und scheint üblich, wenn man potenzielle Vertragspartner mit geschönten Zahlen übers Ohr haut.
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Angeblich haben Umfragen ergeben, dass „jeder Fünfte seinen Chef beschummelt“. Und 60% der Befragten sagen, dass man für seine Karriere lügen muss. Die Zeiten des ehrbaren Kaufmanns scheinen also vorbei zu sein, er sei nur noch ein „Gespenst der Vergangenheit“. Andere formulieren es etwas vorsichtiger: Man sollte sein Verhalten situativ anpassen und je nach Bedarf mal die Wahrheit sagen und mal eben nicht. Soll wohl heißen: Solange man nicht erwischt wird, ist alles gut. Und wenn man weit genug oben ist, darf man sogar lügen, ohne dass es negative Konsequenzen hat.
Wissenschaftliche Belege
Es gibt dann sogar noch die „wissenschaftlichen Belege“, so zum Beispiel ein Experiment, bei dem die Probanden entscheiden mussten, die Wahrheit zu sagen, dann bekamen sie selbst 2 Dollar, die anderen nichts. Oder aber man log, bekam 1,75 Dollar und der andere auch noch einen Dollar. Hier beurteilten die Beobachter die Lügner, die anderen etwas zukommen ließen, positiver als diejenigen, die zu eigenen Gunsten die Wahrheit sagten.
Ein genialer Beleg. Dass man Menschen, die lügen, damit andere davon profitieren und sie selbst weniger erhalten, netter findet, ist jetzt nicht so erstaunlich. Aber was hat das mit der Lüge zu tun, wenn man davon absieht, einem „inkompetenten Praktikanten ungeschöntes Feedback zu geben“? Das nämlich ist eine Art von Unwahrheit, die einem selbst eine unangenehme Situation erspart und dem anderen die Chance nimmt, sich selbst weiter zu entwickeln. Oder die Schmeichelei dem Chef gegenüber, um selbst gefördert zu werden und diesem die Möglichkeit nimmt zu erfahren, welchen Unsinn er bei seinen Mitarbeitern anrichtet?
Im Grunde ist es doch extrem einfach: Eine Lüge, die weder dem anderen schadet noch mir einen großen Vorteil verschafft, ist harmlos. Eine, die mir nutzt, dem anderen schadet, ist in keinem Fall zu rechtfertigen. Und in der Regel wissen wir sehr genau, wo die Grenze liegt. Wenn wir sie überschreiten, meldet sich unser Gewissen. Das lässt sich offenbar mit Geld beruhigen, wie in einem Beispiel in dem Artikel. Fühlt sich aber vermutlich alles andere als gut an und sorgt vermutlich – außer bei Soziopathen – für Magengeschwüre.
Bleibt die Hoffnung, dass wir den ehrbaren Kaufmann doch noch nicht zu Grabe tragen müssen. Und die Frage, warum solche Beiträge in regelmäßigen Abständen erscheinen …