21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

HR-Analytics: Mit der stumpfen Kettensäge

INSPIRATION: Seit Jahren schon werden dem Publikum die Vorzüge von People-Analytics angepriesen. Jetzt liegt endlich eine wissenschaftliche Untersuchung vor, die einen ersten Einblick erlaubt, was denn in den Unternehmen tatsächlich vor sich geht.

Was man bisher so lesen konnte, klang nach „Geheimwaffe“ (Data driven HR), die verspricht, Muster sichtbar zu machen (Datenanalysen für den Wandel nutzen). MWonline war da immer schon eher skeptisch oder warnte sogar vor der „Datenkrake“ (Relational Analytics). Nun, nachdem so einige Zeit ins Land gegangen ist, liegt nun endlich eine Schweizer Untersuchung vor (HR Analytics zwischen Anspruch und Wirklichkeit), die Licht in die Angelegenheit bringt. Sie liegt allerdings in einer englischsprachigen Version vor.


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Eine empirische Studie

Die Schweizer Forschenden haben Ende 2022 zunächst eine Befragung von über 130 Teilnehmenden durchgeführt. Diese entstammten überwiegend den Branchen Finanz- und Versicherungskonzernen, Logistik, Transport und öffentlicher Sektor. Es handelt sich also eher um große Unternehmen. Und es wurden zumeist Personalleiter befragt. Im zweiten Schritt wurden Anfang 2023 mit HR-Analytics-Experten aus diesem Pool 12 Interviews geführt. Dieses gestufte Vorgehen (mixed methods) erweist sich in der Regel als besonders aufschlussreich.

Das erste Goodie, das die Leserschaft abgreifen kann, ist eine handfeste Definition von HR-Analytics: „Eine durch Informationstechnologie ermöglichte HR-Praxis, die deskriptive, visuelle und statistische Analysen von Daten in Bezug auf HR-Prozesse, Humankapital, organisatorische Leistung und externe wirtschaftliche Benchmarks einsetzt, um geschäftliche Auswirkungen zu ermitteln und datengesteuerte Entscheidungen zu ermöglichen.“

Die Autoren unterscheiden sodann drei Reifegradkategorien: Reporting (retrospektiv, deskriptiv), Diagnose (kausal) und Forecasting (prädiktiv). Reifegrad-Argumentationen sind natürlich methodisch kritisierbar, aber für eine erste Orientierung wiederum hilfreich. Denn das Interesse der Forschenden ist, den Grad der Umsetzung und den Nutzen von HR-Analytics in der Schweiz besser zu verstehen.

Der Blick unter die Motorhaube

Wie weit ist der Einsatz von HR-Analytics nun gediehen? Die Ergebnisse sind ernüchternd: Nur 33% der Befragten geben an, dass die Voraussetzung, eine saubere Datenbasis aufzubauen, angemessen erfüllt sei. Deshalb sei die Qualität der Daten auch eher unzureichend. Eine zu geringe Datenqualität bedauern 45 % der Befragten. Und die Aufbereitung von Daten sowie die Verknüpfung verschiedener Datenquellen scheint noch eher auf der Wunschliste zu stehen: Die Unternehmen fühlen sich dazu mehrheitlich (57 %) kaum in der Lage.

Und weit gefehlt, wenn man die Hoffnung gehegt hatte, dass die Unternehmen sich zunächst mit dem Thema Datenschutz beschäftigen würden. Es mangelt schon an einem gemeinsamen Verständnis von HR-Analytics. Und zur Software oder Tools. Aber man glaubt felsenfest daran, dass in den nächsten zwei bis fünf Jahren HR Analytics verstärkt zum Einsatz kommen wird.

Garbage in, garbage out

Die Bereiche, in denen sich die Unternehmen mit der Anwendung von HR-Analytics versuchen, sprechen Bände: Da liegt das Leistungs- und Vergütungsmanagement an der Spitze (61 %). Offenbar ist der Glaube daran, dass man es hier mit „harten“ Zahlen zu tun habe, ungebrochen. Platz 2 nehmen Personalplanung und Recruiting/Onboarding ein (>50 %). Dort schmerzt es die Unternehmen offenbar am meisten. An letzter Stelle rangiert das Thema Arbeitsplatzgestaltung (14%). Da wäre es vermutlich am nötigsten.

Der Zweck des Einsatzes ist eher retrospektiv/deskriptiv (Reporting). In erheblichem Maße möchte man aber auch Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen verstehen (Diagnose). Prognosen sind derzeit am häufigsten für die Personalplanung (38 %) und die Mitarbeiterbindung (32 %) von Interesse. Für die Analysen schöpft man insbesondere aus Personal- (90 %) und Umfrage- (82 %) sowie aus Mitarbeiterbeurteilungsdaten (61 %). Ob man diesen Daten selbst traut, bleibt offen. Auffallend ist jedoch, dass nur rund 50% der Unternehmen HR-Analytics zur Ableitung von Maßnahmen nutzen. Dann fällt es natürlich schwer, etwas über die Wirksamkeit zu sagen.

Erkenntnisse aus den Interviews

Die Interviewpartner bestätigen weitgehend das Bild aus der Befragung, eröffnen aber auch tiefere Einsichten. Eine lautet: Die Unternehmen haben es nicht bloß mit einem Fachkräftemangel zu tun. Sie beklagen inzwischen einen allgemeinen Arbeitskräftemangel. Kein Wunder, das die Themen Personalsuche, Bindung, Fluktuation sowie Fehlzeiten unter den Nägeln brennen. HR-Analytics soll hier der Retter in der Not sein.

Hinzu kommt das Thema Gesundheit. Die neue Arbeitswelt mit Home Office oder hybrider Arbeit, so hat man inzwischen offenbar registriert, produziert Nebenwirkungen, die beim Gesundheitsstatus tiefere Spuren hinterlassen: Ständige Ablenkungen, unzureichende Erholungszeiten und unklaren Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zehren an „den Nerven“ der Mitarbeitenden. Tja, um da weiterzukommen, sollte man sich wohl besser mit Daten zur Arbeitsgestaltung beschäftigen als mit solchen zur Vergütung.

„Jugend forscht“

Die Autoren stecken den Finger in die Wunde: Es fehle heute den meisten Unternehmen an Zeit, Systemen und Fähigkeiten, um eine vernetzte Datengrundlage aufzubauen. Daher sehe man häufig Stückwerk und eine enorme Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit beim Einsatz von HR-Analytics. Da fühlt man sich glatt an das Ergebnis „42“ aus Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ erinnert.

Statt sich mit allerlei Anwendungsfragen zu verzetteln, sollte man, so die Autoren, sich lieber konzentrieren. Und sich nicht überfordern. Oft hätte man in den Personalabteilungen gar nicht die Fähigkeiten, substanzielle Analysen zu fahren. Man bräuchte einerseits Experten (Data Scientists), die man auf dem Markt aber kaum finde. Andererseits wäre es hilfreich, eng crossfunktional zusammenzuarbeiten. Wie man weiß, ist das – trotz Lobreden auf Agilität – in vielen Unternehmen immer noch ein schwieriges Thema.

Auf solche Ergebnisse mag die Beraterzunft nur gewartet haben. Sie wird sich bestärkt fühlen, den Unternehmen ihre Hilfe anzubieten. Ob diese Gilde selbst aber „rechnen“ kann? Da wage ich mal spitzbübisch ein Fragezeichen zu setzen. Aber vermutlich wird es so laufen wie beim Thema Personalauswahl. Da haben auch die wenigsten Unternehmen die nötige Kompetenz an Bord und lassen sich dann gerne von allerlei „bunten Vögeln“ etwas aus der Blackbox zaubern. Oder beim Thema Persönlichkeit: Das gleiche in grün. Wie gut, sagt sich da der Berater, dass man in den Unternehmen nur bis 4 (Farben) zählen kann … Das erleichtert die Sache. Vor allem, wenn denen das „demografische“ Wasser bis zum Hals steht.

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