21. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Illusion des Neulands

KRITIK: Heutzutage müssen Unternehmen agil sein. Nicht alle, aber viele. Vor allem, wenn ihre Branche von dramatischen Veränderungen betroffen ist (Agilität: warum, wofür, wie viel?). Mal angenommen, das ist wirklich so – wie erkennt man dann, ob auch Mitarbeiter in agilen Strukturen klarkommen und „performen“? Gibt es so etwas wie Potenzial für Agilität? Lohnt es sich überhaupt noch, Anfordungsprofile zu erstellen, wenn Inhalte und Aufgaben sich ständig ändern?

Klar, sagt Martin Kersting im Personalmagazin (Das Profil erkennen). Die Tatsache, dass man in Zukunft Menschen nicht mehr für eine ganz bestimmte, klar beschriebene Stelle rekrutiert, enthebt niemanden davon zu definieren, welche Qualifikationen, Kompetenzen und Potenziale jemand mitbringen sollte. Sonst funktioniert keine Eignungsdiagnostik. Wohl aber wird es Verschiebungen bei den Prioritäten geben. Qualifikationen und Kompetenzen kann man erwerben, ihre Erfassung verliert an Bedeutung. Man wird sich intensiver mit dem Potenzial befassen.


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Und jetzt beginnt das Problem

Was eigentlich genau ist Potenzial? Laut Kersting eben nicht die Fähigkeit, eine bestimmte Kompetenz weiter zu steigern, also z.B. noch besser verkaufen, führen, kommunizieren, programmieren zu können. Auch nicht die Fähigkeit, unter anderen Bedingungen mehr leisten zu können. Sondern Potenziale sind zu verstehen als eigenständige Eignungsmerkmale, die wichtig sind, um veränderte oder neue Anforderungen zu bewältigen.

Soll heißen: Wenn ich jemanden einstelle, der Proben im Labor analysieren soll, dann schaue ich, ob er die notwendigen Kenntnisse  (Qualifikationen) mitbringt und die notwendigen Fähigkeiten (Kompetenzen) wie Sorgfalt, Zuverlässigkeit, Sehstärke etc. Aber ich muss nicht schauen, ob er auch noch andere Dinge zu leisten in der Lage sein wird wie Führung, Teamarbeit, Controlling etc. Wenn ich das wissen möchte, dann erfasse ich nicht die dazu notwendigen Kompetenzen (die er ja noch gar nicht haben kann, weil er dafür nicht ausgebildet wurde), sondern die Voraussetzungen, sie zu erwerben. Und dazu zählen Dinge wie seine Lernfähigkeit, seine Motivation, seine Persönlichkeitseigenschaften und seine Werte. Lernfähigkeit wird als kognitive Kompetenz erfasst oder besser – als Intelligenz.

Das ist arg verwirrend und trägt nicht wirklich zur Klärung bei: „Ein Beispiel für ein solches Potenzial ist die kognitive Kompetenz, auch Lernfähigkeit oder Intelligenz genannt. Potenziale lassen sich dieser Auffassung zufolge konzeptionell von Kompetenzen unterscheiden …“ Was jetzt: Kognitive Kompetenz ist keine Kompetenz, sondern ein Potenzial? Verwirrend.

Letztlich aber geht es darum, dass auch agile Unternehmen die gleichen Dinge diagnostizieren müssen wie althergebrachte: Persönlichkeitseigenschaften, Intelligenz, Motivation und Werte – also nichts Neues, daran ändern auch Modeworte wie „Agiles Mindset“ nichts. Die Botschaft an den Personaler lautet: Fallt nicht auf die „Illusion des Neulands“ herein. Schmeißt eure Anforderungsprofile nicht über Bord, sondern passt sie an. Und lasst euch keine neuen Auswahlverfahren andrehen, sondern setzt auf die bewährten Methoden.

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