KRITIK: Schon witzig, wenn in einem Interview der Journalist genau die Fragen stellt, die mir auch eingefallen wären. In diesem Fall betrifft es den Nobelpreisträger Richard Thaler, der in der Wirtschaftswoche erklärt, wie man mit Nudging den Menschen hilft, „richtige“ Entscheidungen zu treffen („Make it easy – das ist das Geheimnis“). Immer noch ein seltsames Konzept.
Das ist erst mal nicht neu: Menschen entscheiden nicht immer rational. Das hat auch Herr Thaler mit seinen Forschungen herausgefunden. Und, wörtlich, er „will den Menschen helfen … ihr Verhalten zu ihren eigenen Gunsten zu ändern.“ Autor Malte Fischer fragt nach Beispielen, und was kommt? Der Ökonom hat ein schlechtes Orientierungsvermögen, also helfen ihm Hinweisschilder im Flughafen, den richtigen Weg zu finden.
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So weit, so gut. Ich will zum Terminal A, und das Hinweisschild weist mir den Weg zu dem von mir definierten Ziel. Und wie beim Flughafen muss ich ihm ja nicht folgen, es ist nur ein Hinweis. Das Schild beeinträchtigt nicht meine Freiheit zu entscheiden.
Nudging
So möchte Herr Thaler auch seine Nudges verstanden wissen. Nur Hinweise, mehr nicht. Berechtigte Nachfrage: Woher wollen Sie denn wissen, was die Menschen anstreben? Weiß er natürlich nicht, aber für den Ökonomen ist klar, dass Menschen immer eine Verbesserung ihres Status quo anstreben. Arbeitslose wollen einen neuen Job, Raucher mit dem Rauchen aufhören, jeder will gesund bleiben, Gestresste wollen Ruhe und alle, die sich ungesund ernähren, natürlich eigentlich gesund leben. Also brauchen sie entsprechende Wegweiser, die ihnen helfen, „die Entscheidungsfindung … im Sinne ihrer eigenen Interessen und Ziele zu erleichtern.“
Der „Nugde“ zeigt uns also den Weg, den wir ohnehin gehen würden, wenn wir die notwendigen Informationen hätten und Zeit genug nachzudenken. Um beim Flughafen zu bleiben: Hätte ich eine Karte und ausreichend Zeit, sie sorgfältig zu studieren, würde ich auch zu Terminal A gelangen. Der Wegweiser erspart mir die Mühe, den Weg selbst zu finden.
Und noch etwas: Wenn ich dem Hinweis nicht folge, muss ich mit keiner Sanktion rechnen. Wir sind also nach wie vor frei in unserer Entscheidung. Das nennt der Preisträger den „libertären Paternalismus“. Was ja wohl bedeutet: Wir sollen zu unserem eigenen Wohl bevormundet werden, aber wenn wir der Bevormundung nicht folgen, passiert uns auch nichts.
Libertärer Paternalismus
Genau da aber wehrt sich etwas in mir. Pater bedeutet Vater, und der hat eine Fürsorgepflicht für seine Kinder. Wer hat diese denn für uns Erwachsene? Der „Staat“? Die Obrigkeit? Die Wissenschaftler? Mal weiter gedacht: Wer zu faul, zu bequem oder schlicht (intellektuell oder aus anderen Gründen) nicht in der Lage ist, sich die notwendigen Informationen für eine Entscheidung zu holen, der folgt dem Hinweis. Die anderen denken selbst nach und kommen zum gleichen Ergebnis. Und erkennen, dass man es ja nur gut mit ihnen meint, also brauchen sie sich beim nächsten Mal nicht die Mühe zu machen.
Mein Fazit: Das Konzept ist nach wie vor schräg, dazu noch ein Beispiel. Der Journalist fragt, wie man per Nudging die Impfquote erhöhen könnte. Der Wissenschaftler ist erfreulich pragmatisch und rät, mit den Impfbussen dorthin zu fahren, wo die Menschen leben, statt darauf zu warten, dass die Menschen zu den Impfstoffen kommen. In der Tat, damit erreicht man jene, die eigentlich eine Impfung möchten, aber sich bisher nicht aufraffen konnten. Nur ist das ein typischer „Nudge“? Ist das nicht vielmehr die schlaue Überlegung: Wie reduziert man die Hürde für ein bestimmtes Verhalten? Muss man also nicht „einfach“ nur schauen, was Menschen davon abhält, ihre Ziele anzugehen, und dann diese Hürden beseitigen?
Also weiter gedacht
Wenn es der Welt hilft, wenn Menschen sich mehr von Pflanzen ernähren statt von Fleisch, dann muss der Zugang zu ersteren erleichtert werden und der zum Fleisch erschwert. Das geht in der Regel über den Preis. Sagt auch der Nobelpreisträger. Wenn weniger mit dem Auto, dafür mehr mit der Bahn gefahren werden soll, weil man damit Mensch und Umwelt schont, dann muss der Spritpreis hoch und der für die Tickets runter. Ist ja nicht so schwer zu verstehen.
Noch ein letztes Beispiel vom Ökonomen: Der Piepton im Auto, wenn ich mich nicht anschnalle. Da bin ich dann doch beruhigt. Ein Nudge ist also wie ein Wecker, der mich daran erinnert, aufzustehen. Oder dass ich bald einen Termin habe. Oder eben, dass ich mich anschnallen soll. Und wenn ich zu all dem keine Lust habe, schalte ich ihn aus. Das wäre dann für mich Freiheit: Nudges abzuschalten, wenn sie mir auf den Wecker gehen. „Make it easy – das ist das Geheimnis“, sagt der hoch Dekorierte. Zu dumm, dass es eben nicht alles immer so einfach ist. Deshalb klappt das ja auch nicht mit dem Spritpreis und dem 9-Euro-Ticket …