INSPIRATION: Wenn das Thema Digitalisierung ansteht, schwärmen etliche Kolleg:innen in den Unternehmen. Andere wiegen skeptisch den Kopf. Wieder andere, die an der Basis, werden gerne vergessen. Aber die sind wichtig!
Wenn ein neues „Betriebssystem“ (ERP) im Unternehmen implementiert werden soll, hat das Auswirkungen auf die Mitarbeitenden. Es soll alles schöner, besser, schneller werden. Aber es wird auch alles anders. Vor allem werden nun zentral und allgemeingültig Prozesse definiert. Man könnte auch sagen: den Mitarbeiterinnen vor Ort aufgezwungen. Ihre Vor-Ort-Lösungen waren zwar für sie besser, einfacher und gewohnt. Jetzt müssen sie aber für das große Ganze aufgegeben werden.
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logic systems versteht sich als IT-Unternehmensberatung mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung betriebswirtschaftlicher Softwarelösungen. Seit 1993 ist die Entwicklung von PC-gestützten Unternehmensplanspielen eine der Kernkompetenzen des Unternehmens. Zur Webseite...
Man könnte an der Stelle tiefer graben und fragen, ob hier die Menschen an die Technik angepasst werden sollen. Oder ob Technik nicht um die Bedürfnisse der Menschen herum gestaltet werden müsste. Eine alte, die sogenannte soziotechnische Frage (MTO-Konzept). Auf jeden Fall stellt sich die Akzeptanzfrage. Die Mitarbeiter müssen sich anpassen. Das passt nicht jedem. Es könnte Widerstand geben. Damit muss das Change-Management rechnen.
Analoge Ansprache
In der Glocken Bäckerei, die zum REWE-Konzern gehört (Neues ERP-System), war man sich dessen bewusst. So greift man zu den üblichen Maßnahmen: Vision benennen, diese emotional aufladen, eine Change Story ableiten und mit viel Kommunikation in die Belegschaft tragen. So weit, so unspektakulär – und auch als einseitig kritisierbar (Zuhören lernen).
Es wurde allerdings ein bemerkenswerter Unterschied zum üblichen Vorgehen gemacht. Das Unternehmen setzte stark auf analoge Kommunikation. Ob man hier von Watzlawick und Kollegen (Menschliche Kommunikation) gelernt hat, bleibt unklar. Vielleicht hat man auch schlicht intuitiv das Richtige getan. Denn die Mitarbeitenden vor Ort in Produktion und Logistik sind zumeist Menschen, die keinen Laptop besitzen, vielleicht noch nicht mal eine Mail-Adresse. Es sind eher einfache Leute. Man sprach sie klassisch analog an: mit Plakaten, die im Treppenhaus, im Gang, in den Umkleidekabinen aufgehangen wurden oder neben den Stechuhren. Man nutzte zudem Personas – also typisierte Mitarbeiter, man kann sich das gut vorstellen, ich sage mal: Leo Logistik – um die einzelnen Gruppen von Mitarbeitenden gezielt ansprechen zu können. Es wurden auch Videos auf Bildschirmen im Gang aufgespielt.
Und dann hat man sich bei der Glocken Bäckerei das alte Organisationsentwicklungs-Motto „Betroffene zu Beteiligten machen“ zu Herzen genommen: „Wahrgenommene Kontrolle, Autonomie und Handlungsspielraum sind relevante Aspekte, die sich auf das tägliche Erleben auswirken,“ liest man wie aus dem Lehrbuch der Arbeitspsychologie entnommen. Doch sogleich folgt schon die Einschränkung: „Häufig ist es nicht möglich, Mitarbeitende völlig frei ein Idealszenario entwickeln zu lassen, denn das Ziel ist ja eine möglichst einheitliche Systemlandschaft über die Produktionswerke hinweg.“ Tja, denke ich mir: Wie war das noch mit dem soziotechnischen Ansatz?
Bei der Glocken Bäckerei hat man einen Kompromiss gefunden. Stellvertretende der Fachbereiche, sogenannte Key User, werden teilweise vom Tagesgeschäft freigestellt, und bringen die Positionen der Basis und deren Erfahrungen aktiv in die Entwicklungsarbeit mit ein. Na, immerhin.
Eine andere Variante: Corporate Apps
Mit den Leuten an der Basis, den sogenannten Frontline Worker, kann man auch anders als analog, nämlich digital umgehen. So plädieren die Autoren der internationalen Management- und Technologieberatung Campana & Schott (Durch Change-Prozesse die digitale Zweiteilung überwinden). Es war schon an anderer Stelle kritisiert worden, dass die „Bürohengste“ mit allem technologischem Schnickschnack gesegnet werden, man aber die Shop-Floor-Mitarbeiter, um mal ein anderes Buzz-Word als Frontline Worker zu benutzen, vergisst und mit Papier und Bleistift hantieren lässt (Jenseits des Büros). Kann die Deskless Workforce (noch so ein Buzz Word) nicht inzwischen auch schöne Fotos mit dem Handy auf der Baustelle machen und bei Whatsapp & Co. teilen?
Genau. Aber leider (oder: Gesetzgeber sei Dank!) ist das aus Datenschutz- und Compliance-Gründen im Betrieb nicht erlaubt. Liefert das Unternehmen allerdings keine Alternative, werden die Mitarbeiter aus Bequemlichkeit trotzdem solche unsicheren Kanäle nutzen. Wir kennen ja unsere Pappenheimer. Nicht so gut! Unternehmen müssen also handeln und liefern. Dafür sprechen mehrere Gründe, so die Autoren:
- Employee Experience und Bindung von Fachkräften
- Medienbrüche im Information- und Workflow
- IT-Management-Aufwand und Effektivität
- Effizienz und Produktivität der Mitarbeitenden und des Unternehmens
Es handeln aber tatsächlich, so zeigen Befragungen, nur 10% der Unternehmen. Warum? Hohe Kosten, unzureichende IT-Infrastruktur und mangelnde Kompetenz der Mitarbeitenden. Man könnte das alarmierend finden. Ich denke, die Berater haben neben den mir spontan einfallenden Gründen noch einen weiteren parat: Sie möchten solche Lösungen gerne verkaufen. Wie auch immer, sie plädieren dafür, bei der Entwicklung solcher Tools die Mitarbeiter zu beteiligen. Damit die Apps auch akzeptiert werden. Aber auch die Führungskräfte müssen dafür an Bord sein.
Damit das nun alles klappt, wird der Leserschaft ein simples Reifegradmodell und ein ebenso simples Phasenmodell empfohlen. Unwillkürlich muss ich lachen: The Map is not the Territory. Nun, wie heißt es so schön in der Bibel: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als … dass ein IT-ler dem Maschinenmodell abschwört. (Aber wehe, wenn …, dann würde die KI vielleicht doch noch ein Bewusstsein entwickeln). Ok, ich schweife ab! Obwohl, nicht wirklich, denn – zurück zum Thema: Wobei, sage ich doch: Da kommt dann nichts mehr. Jedenfalls nichts Inspirierendes mehr.