25. Juni 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Kollegiale Beratung – systemisch

REZENSION: Christiane Schiersmann/Marcus B. Hausner – Kollegiale Beratung: komplexe Situationen gemeinsam meistern. V & R 2023.

Das Konzept der kollegialen Beratung ist nicht neu. Ich erinnere mich noch gut an das Erscheinen von Kim-Oliver Tietzes Rororo-Taschenbuch im Jahr 2003 (Kollegiale Beratung) – und die Diskussion mit ihm. Sein Büchlein erscheint inzwischen in der 12. Auflage: Respekt! Zahlreiche weitere Veröffentlichungen zum Thema finden sich auf dem Markt. Warum sollte man also die Variante x+1 auf den Markt werfen? Ist nicht schon alles zum Thema gesagt?


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Das Buch der beiden Heidelberger Autor:innen macht in der Tat einen Unterschied. Denn es testet das Konzept, das wie so viele andere pragmatisch im Beratungsalltag entstanden ist, gegen die generischen Prinzipien der Synergetik: Ist das Modell der kollegialen Beratung nur Beraterlatein, möchte man die Fragestellung zuspitzen? Oder hat es Hand und Fuß – also eine solide theoretische Basis? Dort also der Rahmen aus der Systemtheorie – wie ihn Hermann Haken und Günther Schiepek schon im Jahr 2010 vorgelegt haben. Deren Theorie der Selbstorganisation und die Problemlösetheorie in der Tradition von Dietrich Dörner bilden die Basis für das Heidelberger integrative Prozessmodell für Beratung der inzwischen emeritierten Professorin für Weiterbildung und Beratung und Koautorin dieses Buchs, Christiane Schiersmann. Sie und wenige andere, wie Jürgen Kriz (Subjekt und Lebenswelt), stehen für einen systemischen Ansatz, der sich dezidiert nicht auf die populäre „Metaphysik“ von Niklas Luhmann bezieht, sondern eine – wie ich finde – deutlich schlüssigere Basis für beraterische Prozesse liefert.

Und auf der anderen Seite steht nun die Best Practice, die sich über Jahrzehnte praktisch bewährt hat: Die tausendfach durchgeführte Methode, die vielen Menschen bei der Lösung ihrer Arbeitsprobleme geholfen und zur Steigerung ihrer Arbeitsqualität beigetragen hat. Manche mögen solche Diskussionen akademisch finden. Aber es wäre akademisch im besten Wortsinn: Wissenschaft möchte doch Klarheit und Evidenzbasierung liefern. Möchte skeptisch überprüfen, ob an dem Beraterlatein etwas dran ist. Möchte dem Publikum eine Hilfestellung geben – Stiftung Warentest, sage ich mal flapsig. Die acht generischen Prinzipien der Synergetik lauten:

  1. Schaffung von Stabilitätsbedingungen
  2. Identifizierung von Mustern des relevanten Systems
  3. Sinnbezug
  4. Kontrollparameter identifizieren/Energetisierung ermöglichen
  5. Destabilisierung / Fluktuationsverstärkung realisieren
  6. Kairos beachten / Resonanz / Synchronisation
  7. Gezielte Symmetriebrechung ermöglichen
  8. Re-Stabilisierung

Dahinter steht die Überzeugung, dass „Probleme“ Muster darstellen, die sich etabliert haben und recht stabil verhalten, oft aber auch zu rigide (deshalb zum Problem) geworden sind. Durch einen gekonnten Musterwechsel kann man diese Beschränkungen auflösen und neue Möglichkeiten schaffen. Und genau diese Prozessarchitektur offenbart sich nun bei genauerer Betrachtung im Konzept der kollegialen Beratung: Nach der Problemschilderung durch den Fallbringer startet das Berater-Kollegium mit einer Assoziationsrunde. Sie öffnet also den Möglichkeitsraum maximal, irritiert, verstört und provoziert. Jedoch auf der Basis eines wertschätzenden Versprechens gegenüber dem Fallbringer. Dieser Raum wird dann im nächsten Schritt strukturiert, geordnet, eingedampft auf Hypothesen. Und im weiteren Schritt auf Lösungsideen, die wiederum so spezifisch sein müssen, dass sie das Potenzial haben, wirklich einen Unterschied für den Klienten zu machen, also einen Musterwechsel wahrscheinlich zu machen.

Die eine oder der andere mag an dieser Stelle denken: Na ja, klingt irgendwie plausibel, so arbeite ich doch prinzipiell auch. Doch macht es einen Unterschied, ob man zehnmal mit der langen Stange im Nebel herumfuchtelt, bis man im beraterischen „Schiffe versenken“ endlich mal einen Treffer gelandet hat. Oder ob man durch eine gezielte Musterentdeckung hypothesengeleitet und stringent das System umschlagen lassen kann. Es ist nicht nur eine Frage der Effizienz und Ästhetik. Sondern so entsteht auch große Klarheit bezüglich des Einsatzes geeigneter Methoden. Es wird spezifisch, nachvollziehbar und überprüfbar. Schlechte Zeiten also für die Toolklempner mit ihrer One-fits-all- oder Schaun-mer-mal-Mentalität. Das Buch der beiden Autor:innen ist daher eine weiterer Schritt auf dem Weg zu einem evidenzbasierten Coaching.

Die Autor:innen haben ihr Vorgehen im Buch mit großer Klarheit und gewissenhafter Detailorientierung (Arbeitshilfen) dargelegt. Fehlen durfte auch nicht die Übertragung ins Online-Setting, die in einem eigenen Kapitel ebenfalls erklärt und begründet wird. Zum Schluss werden unter der Überschrift „Methodische Impulse“ systemische Gesprächsfiguren erklärt. Auch hier zeigt sich ein – gegenüber dem weitverbreiteten Pragmatismus in der Beratungsszene erfrischender – theoretischer Tiefgang. Es wird deutlich, was man – auf systemischer Hintergrundfolie betrachtet – genau macht, wenn man beispielsweise ein Reframing vornimmt. Die Referenz an dieser Stelle auf die systemischen Altmeister Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe nimmt man dankbar zur Kenntnis. Auch Beratungsdesigns wie das Innere Team oder die Systemmodellierung in der Tradition von Frederic Vester, die Günther Schiepek perfektioniert und inzwischen auch softwarebasiert anbietet (SNS), werden so kritisch diskutiert. Alles in allem also eine runde Sache für Berater, Personalentwickler und Führungskräfte. Angereichert mit etlichen Leitfäden, Arbeitshilfen und einem Zugang zu Onlinematerial.

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