INSPIRATION: Ein eher gesellschaftliches Thema – oder eines, das auch Manager und Führungskräfte unmittelbar betrifft? Ich glaube, letzteres ist der Fall. Mehr noch: Aus dem Unternehmensalltag lässt sich einiges ableiten über die aktuelle Diskussion um Verdrossenheit vieler Menschen mit Politik und Eliten. In der Wirtschaftswoche beschreibt Sven Böll, dass viele Top-Manager sehr verunsichert sind, mehr noch – ein Personalberater wird zitiert: „Ich habe noch nie so viel Angst in den Chefetagen erlebt.“ (Die verunsicherte Elite).
Gemeint ist, dass viele in den Top-Etagen, mehr vermutlich noch in den Spitzen der Politik, nicht nachvollziehen können, warum ein Großteil der Menschen so unzufrieden sind. Dort sitzen eben vor allem Kopfmenschen, die aus Excel-Tabellen ablesen, wie es um uns bestellt ist. Die Statistik zeigt, dass es den meisten deutlich besser als je zuvor. Die Wirtschaft boomt, viele haben Arbeit und verdienen mehr als früher, wir werden immer älter und das bei besserer Gesundheit, können überall hinreisen und unseren Kindern Ausbildung und Studium ermöglichen.
Anzeige:
Machen Sie Ihr Unternehmen zukunftssicherer: Lesen Sie "Bright Future Business", das neue Buch von Prof. Dr. Pero Mićić. Erfahren Sie, welche acht Eigenschaften ein zukunftssicheres Unternehmen ausmachen und wie man sie als Masterplan für die Entwicklung des eigenen Unternehmens wie auch als Checkliste für Investments nutzt. Zum Buch...
Warum diese Wut?
Soll heißen: Natürlich gibt es heute wie zu allen Zeiten Menschen, denen es nicht so gut geht. Und die gute Gründe haben, sich zu beschweren. Weil die Mieten steigen, sie nur mit mehreren Jobs überleben können, ihre Kinder nicht in gute Schulen schicken können oder nicht wissen, wie sie mit einer kleinen Rente über die Runden kommen sollen. Das gab es aber schon immer, und deutlich schlimmer. Wenn es aber viel mehr Menschen heute wirtschaftlich besser geht – warum dann diese Wut? Und das quer durch alle Bevölkerungsschichten?
Weil es hier um Gefühle und nicht um Geld geht. Weil viele verunsichert sind und nicht wissen, ob sie noch eine Zukunft in der Welt der Globalisierung und Digitalisierung haben, so ein Teil der Erklärung. Weil heute Minderheiten über die sozialen Medien Stimmungen verbreiten können, die sonst kaum zu Wort kamen. Weil wir an die Grenzen des Wachstums stoßen und es nur noch schlechter werden kann. Früher gab es ein „Aufstiegsversprechen“, das eingehalten wurde: Wer vom Land in die Stadt ging, verbesserte sich. Wer sich weiterbildete, ebenfalls. Mit Fleiß und Einsatz machte man Karriere. All das ist in Gefahr, und wenn Bestehendes oder vermeintlich Sicheres nicht mehr sicher ist, führt das zu Angst. Erklärt das die Wut? Zum Teil schon.
Unsicherheiten
Fragen wir uns mal selbst an ganz einfachen Beispielen wie diesem: Wir haben eine Festanstellung und ein sicheres Gehalt. Wir bekommen eine Gehaltserhöhung und neue Büromöbel. Wirtschaftlich geht es uns besser als je zuvor. Aber der Kollege erhält eine deutlich höhere Zulage, ein anderer wird befördert. Durch eine Fusion wird die Abteilung aufgestockt, Menschen aus anderen (Unternehmens-)Kulturen sitzen plötzlich mit im Team. Von oben heißt es: Vieles wird sich verändern, auch wenn es dem Unternehmen prima geht. Aber wir müssen vorbereitet sein, worauf, können wir euch nicht genau sagen. Kann auch sein, dass wir euren Bereich ganz dichtmachen, aber wenn Ihr euch gut weiterbildet, werdet Ihr immer einen passenden Job finden.
Sagen diejenigen, die die Entscheidungen treffen und – egal was geschieht – sich kaum Sorgen machen müssen um ihre (wirtschaftliche) Zukunft. Bleiben Sie da gelassen? Ein Experte spricht von einer Orientierungs- und Wertschätzungskrise, ich glaube, damit kommt er dem Phänomen recht nahe. Würde es uns helfen, wenn in der beschriebenen Situation ein Manager uns zu beruhigen versucht mit dem Argument: „Schauen Sie mal, verglichen zu früher geht es Ihnen doch prima. Sie verdienen gut, sitzen in einem größeren Büro mit Blick aus dem Fenster – warum die Aufregung?“
Ein gemeinsames Bild der Zukunft?
Hört man heute genauer hin, klingen die Töne schon anders: „Wir verstehen, dass die Menschen Angst vor der Zukunft haben, weil ja tatsächlich niemand weiß, wohin die Reise geht.“ Schon besser, aber auch nicht ausreichend. Klingt so wie bei Eltern, die ihren Kindern sagen: „Ich verstehe, dass du dich aufregst, aber so ist die Welt nun mal.“ Und wie Eltern versteht die Elite gar nicht, dass diese Erklärungen die Verunsicherung und Wut nicht beseitigen.
Was bräuchte man in einer solchen Situation? Klar, am liebsten eine Garantie, dass die kommenden Veränderungen keine Verschlechterung bringen. Kann aber niemand geben. Also was dann? Ein gemeinsames Bild der Zukunft wäre nicht schlecht, oder? Wenn sich das Management mit den Betroffenen zusammen setzt und versucht, ein solches zu entwerfen. Eines vielleicht, das nicht so schlicht gestrickt ist wie „Wir werden die Nr. 1“ (auch wenn das bei „America First“ offenbar schon einen Großteil der Menschen überzeugt hat).
Ein extrem anspruchsvolles Unterfangen, fürchte ich. So eine gemeinsame „Vision“ lässt sich schon in kleinen Unternehmen oder Gruppen schwer formulieren, wie soll das dann in Konzernen oder gar Staaten funktionieren? Aber gibt es eine Alternative?