10. November 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Lieber ohne Sinn?

INSPIRATION: Brauchen Unternehmen einen „höheren Sinn“? Ich war davon überzeugt und habe das auch schon häufiger beschrieben. Es scheint so einfach zu sein: Kenne ich den Sinn, das Wozu dessen, was ich tue, werde ich ganz anders engagiert und motiviert sein, als wenn ich lediglich einer Tätigkeit nachgehe und mir nicht klar ist, wozu das alles gut sein soll.

Und so einfach ist auch das Versprechen der Berater, die das Thema entdeckt haben. Ihr Vorgehen klingt nur allzu vertraut: Man analysiert (in diesem Fall die Vergangenheit: Was zieht sich als roter Faden seit der Gründung durch das Wirken eines Unternehmens?), suche darin das Verbindende, den „höheren Sinn“, inzwischen auch „Purpose“ genannt, packe die zentrale Erkenntnis in einen griffigen Satz, der sich einprägt und der anschaulich ist, so dass man anschließend alle Prozesse und Verfahren hieran messen kann.


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Jede Wette, dass man daraus einen wunderbaren und langen Change-Prozess machen kann, mit vielen Workshops und Veranstaltungen. Am Ende steht dann dieser eine, unverwechselbare Satz, der etwas in den Mitarbeitern zum Klingeln bringt (Sinn machen). Das wäre aber auch zu schön, oder? Versuchen wir das mal für eine Organisation wie die Polizei – glauben Sie, da gibt es diesen einen, schlichten „Purpose“? Der alle Mitarbeiter packt und „etwas in ihnen zum Klingeln“ bringt? Ich ahne, was Berater antworten, wenn das nicht funktioniert: Es liegt an den Führungskräften, sie nämlich „sind gefordert, den Sinn immer wieder ins Unternehmen zu tragen“.

Wenn der Sinn nicht unmittelbar einleuchtet

Warum funktioniert das so nicht? Ich habe einen klugen Beitrag von Klaus Eidenschink auf Linkedin gelesen (Zur Destruktivität von Idealen! Sollen Organisationen Sinn stiften?), der sehr klar macht, wo die Denkfehler liegen. Wer einem Unternehmen nur EINEN Sinn zu verpassen versucht, der macht aus ihnen „moderne Kirchen“. Genau das ist nämlich das Grundmuster von religiösen Gemeinschaften: Sie wollen, dass sich die Menschen mit EINER Sache identifizieren, dass alle an das Gleiche glauben, an die EINE Wahrheit, und dass es möglich ist, alle Interessen der Betroffenen unter diesem einen „Purpose“ konfliktfrei zu vereinbaren.

Das führt zu einer Reihe von Nebenwirkungen, z.B. zu Abspaltungen, zu Feindbildern, zu Missionszwang. Andersdenkende werden das Unternehmen verlassen oder in den Untergrund abtauchen. Das Ideal weckt Erwartungen, die enttäuscht werden müssen und in Sarkasmus und Resignation umschlagen. Gleichzeitig sind solche Ideale ausgezeichnete Beratungsprodukte – siehe oben.

Also lieber die Finger vom Sinn lassen? Kann ja auch nicht sein. Eidenschinks Argumentation legt nahe, dass es eben nicht nur diesen EINEN Sinn geben kann, unter den sich alle unterordnen. Mehr noch: Es wird in jeder Organisation nicht nur viele „Sinns“ geben, sondern sogar sich widersprechende – da muss man sich nur mal die vielen Leitbilder und Unternehmensphilosophien anschauen.

In einem Interview mit dem Leiter des Morning Star Self-Management Institutes stolperte ich über eine Stelle, in der er ein Prinzip des selbstorganisierten Unternehmen erläutert („Komplexität durch Schlichtheit managen“). Dort gibt es den CLOU – den Colleague Letter Of Understanding. Hier werden Mitarbeiter angehalten, über die geschäftliche Mission nachzudenken. Dort spricht man von dem Warum, aber nicht dem des Unternehmens, sondern das eines jeden einzelnen Mitarbeiters. Sie sollen sich dieses Warums bewusst sein und es mit den Kollegen teilen.

So könnte doch ein Schuh draus werden: Sorgt, dafür, dass über den Sinn des eigenen Tuns diskutiert wird, dass er immer wieder reflektiert und in Frage gestellt wird. Also nicht um den Sinn des Unternehmens als Ganzes, sondern um den Sinn, den jeder Einzelne, also auch z.B. das Top-Management in seinem Tun sieht. Ein Vorstand sollte also nicht beraten werden, einfache und einprägsame Sätze zum Purpose zu formulieren, sondern dabei unterstützt werden, über den Sinn der eigenen Tätigkeit nachzudenken: Was genau trägt jeder einzelne Manager, der Vorstand als Ganzes zum Wohle des Unternehmens bei? Was ist sein „Wozu“? Um das dann mitzuteilen, es transparent zu machen, sich daran auch messen zu lassen. Aber nicht, um es dann zur Mission für alle zu machen, sondern um den Diskurs weiter in Gang zu halten. Wäre auch genug Arbeit für Berater, oder?

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