KRITIK: So ist das mit den Mega-Trends in der Weiterbildung. Einst gündeten die großen Unternehmen „Corporate Universities“ oder benannten zumindest ihre Weiterbildungsabteilungen um, jetzt setzen sie auf Micro-Learning.
Ich habe mal nachgeschaut im Archiv von MWonline und die ersten Einträge zum Thema „Corporate University“ im Jahr 2000 gefunden. Ist ja noch nicht gar so lange her. Ich gestehe, dass ich damals schon nicht so ganz verstanden habe, was daran so revolutionär war. Universitäten mit ihrem Frontalunterricht (sprich Vorlesungen) fand ich als Modell für modernes Lernen nicht grade prickelnd.
Anzeige:
Die Arbeitswelt braucht agile Coachs, um Selbstorganisation, Innovation und neues Rollenverständnis zu implementieren. Die Neuerscheinung „Agiler Coach: Skills und Tools“ liefert für jeden agilen Coach eine beeindruckende Bandbreite an Grundlagen, Methoden und Werkzeugen für die Team- und Mitarbeiterentwicklung im agilen Arbeitsalltag. Zum Buch...
Jetzt aber kommt mit Macht das Lernen vor Ort. Im Mikro-Format per Video, Text und Infografik. Ich habe auch hier mal im Archiv nachgesehen und fand den ersten Eintrag dazu im Jahr 2005. Geben wir dem Konzept noch weitere fünf Jahre, bis es wieder in der Versenkung verschwindet?
Da bin ich nicht so sicher, denn das geballte Lernen in Schulklassen und Vorlesungssälen, das Eintrichtern von Wissen auf Vorrat in der Hoffnung, dass es irgendwann Anwendung findet (und falls nicht, zumindest zur Ausbildung irgendwelcher Kompetenzen gut war), sollte tatsächlich der Vergangenheit angehören. Aber mir ist auch klar, dass das ein frommer Wunsch ist.
Und wie sieht das mit den Lernhäppchen aus? In der managerSeminare berichtet Karlheinz Schwuchow über die ATD-Konferenz 2017 in Atlanta, wo eine Reihe von Beispielen in großen Unternehmen (IBM, McDonalds General Electric) präsentiert wurden (Mundgerecht lernen).
So wirklich neu klingt das alles nicht. Die Merkmale des modernen Lernens scheinen die folgenden zu sein:
- Die Lernenden haben Zugang zu Wissen sowohl über den Firmenrechner als auch über mobile Endgeräte.
- Das Wissen wird dann abgerufen, wenn es benötigt wird.
- Der Mitarbeiter entscheidet, wann er es abruft, er muss nicht bis zum nächsten Seminar warten.
- Das Wissen kommt nicht nur von speziell hierfür engagierten Experten, sondern wird auch von Kollegen „eingespeist“.
- Das Systeme lernen dank künstlicher Intelligenz, d.h. an der Reaktion der Lernenden erkennen sie, was benötigt wird und so wird die Qualität der Inhalte fortlaufend optimiert (adaptives Lernen, was so weit geht, dass der Mitarbeiter vor Ort von einem Roboter besucht wird, nachdem er um Hilfe gebeten hat, und dieser erkennt nicht nur das Problem, sondern auch die Stimmungslage des Mitarbeiters – ein Beispiel aus Japan).
- Menschen tun sich auf Wissensplattformen zusammen und tauschen sich aus – das klassische Seminar wird überflüssig.
- Der Personalentwickler ist nicht mehr dafür da, die Experten heranzuholen und Weiterbildungsprogramme zu stricken, sondern dafür zu sorgen, dass die Qualität des Wissens stimmt – er wird zum „Wissenskurator“.
Der Autor betont, dass all das vor allem dort sinnvoll ist, wo eher einfaches, operatives Know-how vermittelt wird – also z.B. wie man eine Friteuse bedient (McDonalds). Hat man dafür früher Seminare angeboten? Oder hat man das nicht schon immer vor Ort gelernt?
Bleibt die Frage, wie denn komplexere Inhalte vermittelt werden. Meine persönliche Vermutung: Auch hier werden kürzere „Lerneinheiten“ zum Beispiel in Form von Online-Seminaren (wie die Webtalks von MWonline) zunehmen. Aber immer dann, wenn es darum geht, gemeinsam mit anderen komplexere Themen zu diskutieren und vor allem zu reflektieren, andere Sichtweisen kennen zu lernen und alternatives Verhalten zu trainieren, wird das klassische Workshop-Format weiter bestehen bleiben. Nur eben nicht mehr mit dem Dozenten, der seine Weisheiten vorträgt. Das geht über Online-Veranstaltungen mindestens genau so gut.