INSPIRATION: Die Geschichte der Fehlerkultur scheint eine Geschichte der Missverständnisse zu sein. Während auf der einen Seite gescheiterte Projekte in „Fuck-up-Nights“ gefeiert werden, ist der Umgang mit Fehlern „in den vergangenen 20 Jahren kaum freundlicher geworden.“ Ein Beitrag von Sylvia Lipkowski in der managerSeminare (Jetzt aber richtig) bemüht sich dankenswerter Weise um eine Klärung.
Das erste Missverständnis beruht wohl auch auf einem einfachen sprachlichen Problem. Das englische Wort „Failure“ steht nicht unbedingt für „Fehler“, sondern für „Scheitern“. Und Scheitern kommt grade ganz groß in Mode – zumindest wird versucht, es ein wenig vom Makel des Fehlers zu befreien und eher als Lernchance zu begreifen.
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Aber was ist mit dem klassischen Fehler – der, den man aus Unachtsamkeit, aus Nachlässigkeit, unter Zeitdruck und eigentlich völlig unnötig begeht? Soll der auch gefeiert werden? Geht das überhaupt: In einer Kultur das Scheitern begrüßen und den Fehler abstrafen?
Versuchen wir es einmal mit Beispielen:
- Ein Team erstellt eine Kundenpräsentation und riskiert bewusst eine sehr ungewöhnliche Darstellung. Der Kunde ist alles andere als begeistert.
- Ein Team erstellt eine Kundenpräsentation, aber weil man bis tief in die Nacht gearbeitet hat, unterläuft ihm ein Fehler in der Darstellung, was zu dem Eindruck mangelnder Professionalität führt und den Kunden abschreckt.
- Ein Team erstellt eine Kundenpräsentation und weiß, dass bei einer realistischen Darstellung der Kunde vermutlich ablehnt, also schönt man die Zahlen und hofft, dass der Kunde es nicht merkt. Die Sache geht schief.
Fall 1 würde man als bewusstes Experiment bezeichnen, das scheitert. In einer „guten“ Fehlerkultur würde man hieraus Schlüsse ziehen und das Experiment unter „Lernerfahrung“ ablegen. Im Fall 2, einem „klassischen“ Fehler, würde man in einer guten Fehlerkultur die Ursachen analysieren und (hoffentlich), niemanden „köpfen“, sondern zu dem Schluss kommen, in Zukunft mehr Zeit für die Planung einzuräumen. Aber was passiert im Fall 3? Hier wäre man sicher versucht, nach dem „Verantwortlichen“ zu fahnden und „Strafmaßnahmen“ zu ergreifen. Oder aber man überlegt, was eine Gruppe verantwortungsbewusster Mitarbeiter so unter Druck setzt, dass sie bewusst einen „Fehler“ begeht und an diesen Ursachen arbeiten.
Voraussetzung zu einem guten Umgang mit diesen „Fehlern“: Sie dürfen nicht vertuscht werden. Das aber setzt voraus, dass die Menschen nicht befürchten müssen, anschließend abgestraft zu werden – auch im Beispiel 3.
Klingt nicht so schwierig, aber nehmen wir mal einen gravierenderen Fall als den Verlust eines Kunden.
- Ein Chirurg steht vor einer äußerst kniffligen Operation. Es gibt eine bewährte Methode, aber nach seiner Einschätzung hat der Patient in diesem besonderen Fall bei der Methode wenig Aussicht auf Heilung. Eine neue Methode, die noch wenig erprobt ist, könnte die Aussichten deutlich verbessern. Er informiert den Patienten darüber, der ist einverstanden und die Operation geht schief. Das „Experiment“ ist gescheitert.
- Ein Chirurg hat einen langen OP-Tag hinter sich, bei der letzten Operation unterläuft ihm ein schwerwiegender „handwerklicher“ Fehler, die Operation geht schief.
- Ein Chirurg weiß, dass ihm die nötige Erfahrung für eine bestimmte Operation fehlt und er diese eigentlich einem Kollegen überlassen müsste. Er operiert dennoch und die Operation geht schief.
Und nun? Drei Fehler, die passieren können. Im Idealfall geht der Chirurg hin, berichtet in allen drei Fällen seinen Kollegen und/oder seinem Chef, was geschehen ist und übernimmt die Verantwortung. Alle überlegen, welche Faktoren zu der jeweiligen Entscheidung geführt haben und welche Maßnahmen man hieraus für die Zukunft ableiten will. Wie muss eine Unternehmenskultur aussehen, damit genau das passiert?
Man ahnt die Antwort: Die Verantwortlichen in einer Organisation müssen mit eigenen Fehlern offen umgehen. Sie müssen ihre eigenen Experimente (Fall 1), ihre Pannen (Fall 2) und ihre wissentlich in Kauf genommenen Risiken (Fall 3) sowie ihre Lernerfahrungen offenlegen und damit demonstrieren, welche Art von Umgang mit Fehlern innerhalb der Organisation von ihnen gewünscht wird. Dazu braucht man sicher keine „Fuck-up-Nights“, sondern nur den Tagesordnungspunkt „Fehlerberichte“ bei regelmäßigen Teamsitzungen.
Wo gibt es das?
Der Text, frei vorgetragen vom Autor.