KRITIK: Da staune ich. Reinhard Sprenger empfiehlt, Gehälter lieber nicht transparent zu machen. Die Argumente stehen im krassen Widerspruch zu allem, was ich bis jetzt von ihm zum Thema Selbstverantwortung und Anstand gelesen habe.
Großmutter wusste es schon: Über Geld spricht man nicht. Weil ihr bekannt war, dass Menschen missgünstig sind. Außerdem steht es auch schon im Alten Testament: Es ist nicht immer gut, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Heute hingegen wird alles, über das man früher aus Scham, Würde oder Neidunterdrückung geschwiegen hat, ans Licht gezerrt und mit Transparenz begründet. Wer sich für die Gehälter anderer interessiert, ist demnach ein Voyeur (Warum Gehälter geheim bleiben sollten).
Nanu – das klingt aber altbacken und rückwärtsgewandt. Gibt es auch sachliche Argumente? Gibt es. Wenn Gehälter der Spitzenleute aufgedeckt werden, dann sind diese der Referenzpunkt und alle messen sich daran. Zwangsläufig sind alle, die darunter liegen, unzufrieden. Was dazu führt, dass die Gehälter noch weiter steigen statt zu sinken – was wiederum jene beklagen, die sich über zu hohe Managergehälter aufregen und deshalb Transparenz fordern.
Mag sein, dass dies eine Folge der Transparenz ist. Aber hoffentlich nur kurzfristig. Weil möglicherweise die Offenheit zu einer breiten Diskussion und irgendwann dann auch zu „anständigem“ Verhalten führt. Was mich noch mehr wundert: Ausgerechnet Sprenger, der immer wieder betont, dass Leistung sich nicht messen, sondern nur bewerten lässt, erklärt hier, dass Transparenz bei klar messbaren Gehältern noch nachvollziehbar sei, etwa bei Vertriebsmitarbeitern oder Mitarbeitern im alten Akkordlohn. In wissensbasierten Jobs sei ein solcher Leistungslohn aber nicht sinnvoll.
Einverstanden, hier ist der Lohn eine Verhandlungssache. Und deshalb darf er nicht diskutiert werden?
Wenn mich das nur wundert, ärgert mich aber die grundlegende Haltung und das Menschenbild: Menschen sind missgünstig und können mit solchen Informationen nicht verantwortungsvoll umgehen. Deshalb sollten ihnen diese Informationen vorenthalten werden, um sie vor eigener Unzufriedenheit zu schützen. Sagt ausgerechnet einer, der ein Buch mit dem Titel „Prinzip Selbstverantwortung“ verfasst hat. Herr Sprenger muss schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht haben, die herausgefunden haben, was er für einen Vortrag bekommt …