INSPIRATION: Ich mag die bissigen Artikel von Stefan Kühl, auch wenn ich mit einigen seiner Schlussfolgerungen nicht einverstanden bin. Diesmal geht es um den Versuch vieler „Management-Vordenker“, ihre Lehren „wissenschaftlich zu adeln“. Und das geht manchmal schief. Wie in dem Fall des „verstaubten soziologischen Konzepts“ des amerikanischen Soziologen Talcott Parsons. Er wollte die Stabilität sozialer Systeme erklären und fand dafür vier Faktoren, die er in dem Akronym AGIL zusammenfasste (Wie Praktiker das Wort „agil“ missverstehen).
Die Soziologen beschäftigen sich schon länger nicht mehr mit dem Modell, weil es sich offenbar in der Anwendung als wenig hilfreich erwiesen hat. Und es ist schon garnicht die Basis für das, was heute als Agilität gepriesen wird. Heißt eben zufällig nur so ähnlich. Und doch ist offenbar jemand auf die Idee gekommen, Parsons‘ Modell heranzuziehen, um zu zeigen, dass Agilität hier eine wissenschaftliche Basis hat.
Hatte ich zwar noch nie gelesen, aber wundern würde es mich nicht. Denn der Versuch, neue Managementmodelle wissenschaftlich zu unterfüttern, ist in der Tat häufiger anzutreffen. Besonders oft wird die Neurowissenschaft zitiert. Ist ja auch verlockend, wenn man sagen kann: „Unser Beratungsansatz basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen!“. Macht sich gut in Flyern und auf der Homepage.
Zu kurz gesprungen
Das Problem laut Kühl ist, dass selbst wenn es breit aktzeptierte theroretische Konzepte z.B. in der Soziologie gibt, diese nicht unbedingt „anschlussfähig“ an die Probleme der Praxis sind. Sie müssten dafür aufgearbeitet werden. Was die Praktiker dann auch machen, indem sie die theoretischen Überlegungen vereinfachen, Begriffe umdeuten und „wissenschaftlich nicht gedeckte theoretische Verknüpfungen“ vornehmen.
Wenn Sie also mal wieder ein Konzept angeboten bekommen, das angeblich auf einer wissenschaftlichen Theorie fußt, dann sollten sie genauer hinschauen. Und vor allem sich die Verknüpfungen anschauen. Es muss nicht immer so offensichtlich unsinnig sein wie im geschilderten Fall. Für mich nach wie vor eines der anschaulichsten Beispiele ist das Konzept des Behaviorismus. Weil es wissenschaftlich nachgewiesen ist, dass eine Belohnung, die auf ein Verhalten folgt, dazu führt, dass dieses Verhalten häufiger gezeigt und sogar neues Verhalten gelernt werden kann, kommt heute ja auch kaum noch einer auf die Idee, Menschen mit unregelmäßig verteilten Prämien (Incentives) dazu zu motivieren, sich besonders ins Zeug zu legen. Oder etwa doch?