INSPIRATION: Agilität ist nicht Agilität: Es gibt inzwischen etliche Spielarten. Das kann verwirren. Deshalb ist es hilfreich, eine Übersicht zu erhalten, in der die wichtigsten Konzeptbausteine einsortiert werden.
Die Autoren nennen es „Agile Org Navigator“ (Charakteristika agiler Organisationen). Es ist das Ergebnis einer Analyse und Synthese verschiedener agiler Organisationsansätze und der Auswertung von Praxisberichten. „Eingeflossen in die Analyse sind beispielsweise die agilen Methoden Scrum, Lean Start-up, Design Thinking, Kanban und Objectives & Key Results, die agilen Skalierungsframeworks Large Scale Scrum und Scaled Agile Framework, generische agile Strukturansätze wie das Spotify-Modell, Holacracy, das kollegiale Kreismodell sowie unternehmensindividuelle Ansätze wie z. B. von B. Braun, Tele Haase oder Heiler Glas.“ Der Navigator betrachtet drei große Aspekte: Prozessgestaltung, Strukturgestaltung sowie die Koordination der Akteure innerhalb des organisatorischen Rahmens. Er liefert einen Verständnisrahmen, aber keine Praxisanleitung. Eine Abbildung der Autoren visualisiert kreisförmig alle Aspekte übersichtlich.
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Agile Prozessgestaltung
Die radikale Kundenzentrierung ist hier der erste Baustein. Kundenbedürfnisse werden ständig analysiert, das Kundenfeedback wird zur kontinuierlichen – iterativ-inkrementellen – Anpassung genutzt. Damit das wirksam wird, muss dafür gesorgt werden, dass Lernschleifen implementiert werden. All das mag nicht neu sein. Neu ist jedoch die Ernsthaftigkeit, mit der hier vorgegangen wird. Denn Lessons learned stand zwar auch in „alten“ Organisationskonzepten auf der Agenda, blieb aber oft nur ein Lippenbekenntnis. Die Ernsthaftigkeit zeigt sich auch in einer starken Fokussierung auf die Anforderungen im einzelnen Arbeitsschritt. Die Auswahl der nächsten Anforderung sowie die Verteilung der Arbeit erfolgt mittels des Push-Prinzips „von unten“, also dezentral und selbstorganisiert durch die Teams.
Agile Strukturgestaltung
Autonome Teams (manche nennen sie Kreise, andere Squads) sind die Basis der agilen Organisation. In ihnen sind alle benötigten Kompetenzen und Perspektiven vertreten. Sie sind daher zumeist cross-funktionale Teams. Sie erstellen ein definiertes (Teil-)Produkt von A bis Z (End-to-End). Interne Schnittstellen werden möglichst reduziert, so dass die Kundenausrichtung maximal gewährleistet wird. Damit dies als Gesamtes funktioniert, ist eine Modularisierung der Organisation notwendig. Weil sich Abhängigkeiten und Überschneidungen zwischen den Teams nicht immer vermeiden lassen, verstehen sich diese im Modus einer losen Kopplung. Personelle Verknüpfungen, koordinierende Rollen oder Abstimmungsmeetings sind hierfür gedacht. Die Teams disponieren auch ihre finanziellen Budgets sowie technische und sonstige Ressourcen selbstständig (flexible Ressourcenallokation).
Agile Koordination
Selbstorganisation bedeutet, dass sich die Teams auf Augenhöhe begegnen. Detaillierte Pläne oder definierte Prozessbeschreibungen, die eine übergeordnete Instanz verfasst, all das gehört der Vergangenheit an. Es wird folglich auf die kollektive Kompetenz der Basis gesetzt. Man könnte es auch das „organisatorische Subsidiaritätsprinzip“ nennen. Aber auch ein solches Vorgehen benötigt Spielregeln: definierte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse – wie Konsens oder Konsent. Oder Konsultation. Dies ist ein dritter Weg der Entscheidung, „bei dem die verantwortliche Rolle oder eine gemeinschaftlich bestimmte Person verpflichtet ist, relevante Stakeholder bzw. Experten zum Thema zu konsultieren und deren Meinung einzuholen.“ Agile Organisationen pflegen tendenziell eine spannungsgetriebene Konfliktbearbeitung. Damit ist gemeint, dass man Konflikten nicht aus dem Weg geht, sondern sie als notwendig ansieht, und daher im Zweifelsfall provoziert, um sie in Meetings zu bearbeiten. Alle brauchen alle Informationen. Transparenz ist damit nicht nur ein wohlfeiles Gebot, sondern der Normalfall. Nicht kleinteilige Zielkataloge orientieren, sondern der übergeordnete Purpose.
Wer sich in der Geschichte der Organisationstheorien auskennt, wird die meisten Aspekte schon in den Gruppenarbeitskonzepten der 1990er Jahre angelegt sehen. Auch dort wurde schon propagiert, den Taylorismus überwinden zu wollen. Agilität unterscheidet sich von dieser Praxis offensichtlich in der Radikalität des Vorgehens und im Tempo. Bei Agilität wird der Taylorismus auf den Kopf gestellt.