KRITIK: Eine Studie mit über 7.000 Führungskräften und Angestellten ergab, dass eine Mehrheit von dem Bedürfnis nach Macht und Einfluss geleitet wird. Wird das „Machtmotiv“ unterschätzt und was bedeutet das für Organisationen? Müssen sich nun alle Mitarbeiter einer speziellen Diagnostik unterziehen?
Aber zunächst zur Studie: Die Autoren legten den Probanden 15 Zeichnungen vor, auf denen Figuren in unterschiedlichen Situationen zu sehen waren (Operanter Motivtest). Sie sollten sich jeweils eine Figur aussuchen und Fragen zu deren Gefühlen beantworten. Die Antworten wurden von Psychologen ausgewertet und führten zu dem Ergebnis, dass 57% der Teilnehmer überwiegend vom Machtmotiv, 28% vom Leistungsmotiv und 12% vom Bindungsmotiv angetrieben werden – unabhängig von Alter, Geschlecht oder beruflichem Status.
Die Dreiteilung der Motive geht auf McClelland zurück, vor Jahren haben wir das in einer Buchbesprechung näher beschrieben (Joachim Siegbert Krug / Ulrich Kuhl: Macht, Leistung, Freundschaft). Was folgt daraus? Die Autoren Scheffer und Pawlik erklären in einem Interview (Unterschätztes Machtmotiv), dass wir in der Regel davon ausgehen, dass Menschen vor allem von dem Bedürfnis nach Leistung bestimmt sind, aber dem sei nicht so. Das Machtmotiv wird unterschätzt, weil Macht als Wert in unserer Gesellschaft nicht allzu gut angesehen ist. Den Anspruch auf Macht zu formulieren, ist sozial nicht erwünscht, mehr noch, wir leugnen ihn, selbst wenn wir ihn verspüren.
Das Machtmotiv wird unterschätzt
Das birgt eine Gefahr, nämlich die, im Job unglücklich zu sein. Wer eigentlich Macht ausüben möchte, aber sich selbst zurücknimmt, wird nicht nur weniger Erfüllung finden, sondern auch in seinem Auftreten kaum authentisch und damit weniger wirkungsvoll sein, was speziell in Führungspositionen problematisch ist. Interessante Schlussfolgerung: Nur wer sich zu seinem Bedürfnis nach Macht bekennt, kann auch bewusst entscheiden, sie abzugeben – was vermutlich schwer fällt, wenn man sich zurücknimmt, obwohl man gerne Macht ausüben möchte.
Natürlich kann auch das Gegenteil passieren: Menschen, die ihr Bedürfnis nach Macht ausleben, können auch dazu tendieren, die eigene Bedeutung zu überschätzen, alle Entscheidungsgewalt an sich zu ziehen. Was bei vielen fast automatisch passiert, wenn man sie in Führungspositionen steckt. Noch ein Problem: Wenn Organisationen ihre Strukturen und Abläufe ändern und Entscheidungsmacht auf viele Schultern verteilen, fühlen sich die „Machtmotivierten“ eher herabgesetzt und widersetzen sich.
Das Fazit der Autoren: Unternehmen sollten sich die Motive ihrer Führungskräfte genauer anschauen, und zwar mithilfe von Tests und psychologischer Diagnostik. Mehr noch: Am besten sollten sie alle Mitglieder ihrer Organisation bezüglich deren präferierter Motive testen. Mit den Ergebnissen könnte man z.B. Teams diverser zusammensetzen, denn Diversität sollte nicht vor der Persönlichkeit Halt machen. Und schließlich sollten sie ein offenes Feedback ermöglichen, etwa in Form regelmäßiger Umfragen oder 360-Grad-Feedbacks.
Nennen wir es besser: Gestaltungswille?
Da sträuben sich dem Leser gleich mehrfach die Nackenhaare. Nicht wegen des Studienergebnisses. Ich finde es durchaus interessant, dass die Mehrheit der Teilnehmer einen starken Wunsch nach Macht verspüren – wobei ich eher von Einfluss oder Gestaltungswille sprechen würde. Wenn Unternehmen ihren Mitgliedern ermöglichen würden, eine Wirkung zu erzielen, Dinge zu bewegen und Neues zu gestalten, wäre das sicher ein großer Schritt. Mag sein, dass hier auch meine Abneigung gegen den Begriff „Macht“ zu einer sozial erwünschten Betrachtung führt. Aber gerade in Organisationen, in denen weniger hierarchische Strukturen herrschen, haben viel mehr Mitglieder die Möglichkeit, Dinge zu gestalten, Einfluss zu nehmen. Was übrigens auch die Autoren in dem Interview betonen.
Aber wozu muss ich dann die komplette Belegschaft testen? Mal abgesehen von dem großen Potenzial für Berateraufträge, die sowohl bei dem Einsatz diagnostischer Verfahren als auch von 360-Grad-Feedbacks kräftig Geld verdienen: Will man allen Ernstes Teams nach Testergebnissen zusammenstellen? „Vier Menschen mit Machtmotiv, zwei mit Leistungs- und einer mit Bindungsmotiv – so klappt das mit dem Team.“ Es ist die alte Fantasie: Wir vermessen Menschen und basteln daraus funktionierende Organisationseinheiten. Und ich sehe sie schon vor mir, die Manager, die sich mit Begeisterung auf die Persönlichkeitsprofile der nächsten Ebene stürzen, darüber diskutieren, ob der Abteilungsleiter A nicht arg machtbewusst ist und vielleicht an ihrem Stuhl sägen könnte.
Wer viel misst, misst Mist
Oder sie betätigen sich als Hobby-Psychologen, die nun endlich den Mitarbeitern hinter die Stirn gucken und dort Dinge entdecken können, die diesen selbst nicht mal bewusst waren. „Sie sind doch arg bindungsmotiviert, da passen Sie wohl eher nicht in unsere leistungsorientierte Kultur.“
Ach ja, und dann noch das 360-Grad-Feedback für Führungskräfte. Was davon zu halten ist, haben wir schon häufig geäußert, nun soll es noch helfen, die Motive bewusst zu machen. Und dann?
Bleibt der Ansatz, sich dem Thema über individuelles Coaching zu nähern. Keine Frage: Wer in seinem Job seine Bedürfnisse nicht erfüllen kann und nicht so recht weiß, warum er eigentlich unzufrieden ist, könnte durch die Beschäftigung mit der eigenen Motivstruktur interessante Entdeckungen machen. Damit wäre aber deutlich weniger Umsatz zu machen …