27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Spielerisch Schlagfertigkeit trainieren

PRAXIS: Die kollegiale Beratung ist definitiv ein alter Hut. Ja, und? Es ist einfach ein gutes Konzept. Und hier zeigt ein systemischer Altmeister an einem schwierigen Thema, wie viel PS die Methode unter der Haube hat. Beeindruckend!

Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser nicht auch schon einmal diese Situation erlebt? Ob nun im Arbeitskontext oder im Privaten: Plötzlich haut jemand eine diskriminierende Bemerkung heraus – dass es Ihnen schlicht den Atem verschlägt. Das geht gar nicht! Aber … Sie ringen nach Luft und stammeln – während Sie sich überlegen: Schlagen Sie mit gleicher Münze zurück? Oder wollen Sie lieber differenzieren, um gleich einen Unterschied zu machen? Sie könnten auch schlicht drüber weggehen und den Mund halten. Nach dem Motto: Keine Aufmerksamkeit ist Strafe genug. Aber müsste man nicht doch …?


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Geschockt – und um Antwort ringend

Johannes Herwig-Lempp (Vielfältige Antworten auf einfältige Bemerkungen) packt den Stier bei den Hörnern. Und er macht das in der Überzeugung, mit dem Problem nicht allein dazustehen. Er nutzt dafür das Konzept der kollegialen Beratung (Kollegiale Beratung – systemisch). Und das ist bekanntermaßen ein Gruppensetting. Ein Fallbringer schildert sein Problem, seine Fragestellung und verstummt einstweilen. Die Gruppe der Kolleginnen stürzt sich nun auf den „Braten“ und entwickelt zunächst eine gehörige Bandbreite an Assoziationen, die im Folgenden zu Hypothesen und Lösungsideen weiterentwickelt und dann eingedampft wird. Der Fallbringer bedankt sich zunächst beim Kollegium und erklärt zum Schluss, welche Idee aus der Fülle der produzierten er nun verfolgen wird. Die Schwarmintelligenz produziert also einen Mehrwert. Und das Gruppensetting entschleunigt diese Lösungsfindung.

Der Autor nutzt also genau dieses Setting für die Bearbeitung der eingangs geschilderten, schwierigen Situation. In der Tat hätte irgendjemand in irgendeiner Runde der kollegialen Beratung genau diese Fragestellung aufwerfen können. Dann wäre das eben in genau dieser einen Runde besprochen worden. Da das „Problem“ aber nicht nur Einzelne angeht, macht der Autor die Bearbeitung öffentlich. Wie weise und wie hilfreich! Man kann es zur Nachbereitung, aber auch zur Vorbereitung nutzen. Zur Steigerung der Selbstwirksamkeit.

Das Vorgehen

  • Schritt 1 – Hypothesen zum Verhalten der anderen Person: Es werden viele (!) Hypothesen generiert – auch verrückte, vermeintlich abwegige und schräge. Da kommen schon so 30 bis 40 Hypothesen zusammen. Immer konnotiert mit „weil“ und „vielleicht“. Und es wird nichts „kommentiert oder diskutiert, sondern für sich stehen gelassen“.
  • Schritt 2 – Hypothesen zu den Absichten der Be- oder Getroffenen: Welche Ziele können wohl die von der Provokation Geschockten intendieren? In mehreren Runden werden wieder 30 bis 40 Hypothesen gesammelt.
  • Schritt 3 – Mögliche Reaktionen: Es folgt ein Rollenspiel, in dem die ursächliche Äußerung mit zahlreichen möglichen Reaktionen gematcht wird. Hier sehen wir also eine Fülle an Kombinationen – „gelungene“ wie „schräge“, alle sind heuristisch wertvoll. Und es bleibt dabei. Es gibt keine Reaktionen vonseiten der Protagonistin.
  • Schritt 4 – Auswertung: Jetzt erst darf der Falleinbringer sich äußern und kommentieren. Dann im Anschluss die gesamte Gruppe.

Der Autor kommt aus einer systemisch-lösungsorientierten Perspektive. Ihm ist an der Stelle wichtig zu betonen: Es gibt nicht die eine, „richtige“ Antwort. Darum geht es gar nicht. Es geht vielmehr darum, die Fülle an Möglichkeiten zu realisieren und wertzuschätzen. Das entspannt, nimmt den Krampf aus der Situation heraus, lässt gelassener werden.

Die Theorie zur Übung

Die erste Großtat, die er mit seinem Übungssetting vollbringt, ist die Entkopplung des Skandals von der reflexhaften Antwort. Der eine mag die diskriminierende und verletzende Äußerung wirklich in boshafter Weise gesetzt haben. Aber vielleicht hat er oder sie auch schlicht nicht nachgedacht oder bloß nachgeplappert? Sie oder er wollte vielleicht nur ein wenig provozieren und damit Aufmerksamkeit generieren? Die Erkenntnis: Schere nicht alle Menschen über einen Kamm!

Das zweite Learning zielt auf den Antwortenden: Es mag sein, dass wir als Getroffene auf die Ungeheuerlichkeit eine perfekte Erwiderung bringen wollen. Eine, die nicht nur den Protagonisten abstraft. Sondern auch eine, die uns selbst in ein besonders gutes Licht stellen möchte. Kein Wunder, wenn wir uns damit überfordern und im Zweifelsfall über die eigenen Füße stolpern, das Kind mit dem Bade ausschütten. Besser wäre, sich realistischerweise auf ein (kleineres) Ziel zu konzentrieren.

Und zum Dritten ein Fazit: Durchatmen wäre – wie so oft – hilfreich. Spekulationen und Unterstellungen lassen uns ausrasten. Und mit der Überfrachtung an Intentionen stellen wir uns zumeist selbst ein Bein. Missverständnissen und einer Eskalation sind damit Tür und Tor geöffnet. Eine gute Lösung wird so eher unwahrscheinlicher. Man erinnere sich nur an die schöne Geschichte vom „Mann mit dem Hammer“ von Watzlawick. Wir Geschockten dürfen auch mit einer „kleinen“ Reaktion zufrieden sein. Sie muss nicht gleich Oscar-verdächtig sein.

Theoretische Einsicht ist das eine. Der Autor bietet übrigens auch eine Einzelvariante als Alternative an. Doch dadurch, dass sich eine Gruppe von Menschen in diese Situation hineinbegibt, sie er- und durchlebt, können tiefe, emotionale Erkenntnisprozesse stattfinden und wirksam werden. Wir können uns eigentlich nur bedanken beim Autor für die Anregung und versuchen, bei der nächstbesten Gelegenheit genau diese Erfahrungen selbst zu machen – und daran zu wachsen.

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