KRITIK: Die Schwerpunktausgabe der people & work „Die (Ohn-)macht der Zahlen“ hat es in sich. Finden sich hier doch etliche Beiträge aus BWL-Sicht, die recht kritisch mit der Zahlenhuberei umgehen. Für andere Professionen, die immer schon aus einer anderen Perspektive auf die Wirtschaft schauen – wie Psychologie oder Soziologie – nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. Doch als Bekenntnis aus der Zunft der „Zahlenknechte“, derer, die gewöhnlich harte von weichen Kennzahlen zu trennen sich bemüßigt fühlen, erscheint dies als mutig und selbstkritisch.
Der Interimmanager Bodo Antonic verrät, welche Zahlen für ihn „wirklich“ wichtig sind (Zahlenzirkus im Management). Seine Erkenntnisse aus jahrelanger Praxis hat er in sieben Merksätze gegossen, die er an Beispielen erläutert.
7 Merksätze für den Umgang mit Zahlen
- Zahlen liefern Anhaltspunkte, aber nie Erklärungen.
- Als Fakten betrachte ich Zahlen erst in der Rückschau.
- Wer Menschen, Sprache, Spielregeln und Werte im Unternehmen als Manager nicht im Blick und im Griff behält, braucht auf die Steuerungswirkung und Erklärkraft von Zahlen erst gar nicht zu setzen.
- Die Verwendung und Dominanz von Zahlen prägt Unternehmenskulturen – und das nicht zu ihrem Besten.
- Zahlen verändern nichts. Wer die Verhältnisse ändern will, der muss Menschen ändern.
- Wenn du willst, dass Zahlen etwas bei Menschen bewegen, gehe neu und anders mit ihnen um. Benutze Zahlen so, dass sie das Denken und Handeln deiner Mitarbeitenden in Gang setzen.
- Wenn Du schon mit Zahlen misst, dann miss nicht nur den Output an dem, was an Umsatz und Ergebnis als Folge aller Bemühungen herauskommt. Miss den Input, den alle leisten, um den Kunden zufriedenzustellen.
Bemerkenswert an diesem Statement ist, dass hier gemäß dem Drei-Ebenen-Modell der Unternehmenskultur nach Ed Schein (Eisbergmodell), offensichtlich wird, dass Finanzzahlen nur die oberste Ebene abbilden. Die darunter liegenden Ebenen der Werte und der Basic Assumptions sind jedoch viel wichtiger. Der Autor sagt das nicht in der Prägnanz. Doch es ist offensichtlich, wenn er vier Beobachtungsfelder als entscheidend adressiert: Die Menschen, die Sprache, die Spielregeln und die Werte. Schade, dass das Konzept der Balanced Scorecard (BSC) nicht angesprochen wird, das ja schon vor vielen Jahren die Mainstream-Glaubenssätze der BWL frontal attackiert hat.
Kennzahlen-Kurzsichtigkeit
Christian Huber (Die Kurzsichtigkeit der einen richtigen Kennzahl) zeigt an einem Firmenbeispiel auf, wie man mit Kennzahlen den Wahnsinn perfektionieren kann. Er bespricht einen aktuellen wissenschaftlichen Beitrag aus dem Sloan Management Review. Und dabei geht es um die Kennzahlen-Kurzsichtigkeit – neudeutsch: Accounting Myopia. Gib dem Mitarbeiter eine Kennzahl. Und es wird nicht alles besser, sondern das Unglück nimmt seinen Lauf. Die Mitarbeitenden machen genau das, was das Management ihnen vorschlägt: Sie fokussieren auf die Kennzahl (nach der sie vermutlich auch noch maßgeblich vergütet werden) und vergessen den Rest. Gut gemeint ist eben noch lange nicht gut gemacht. Denn das Gegenteil von gut muss nicht zwingend schlecht lauten.
Spielt man dieses Spiel mit der Kennzahl über mehrere Runden, ergibt sich daraus ein Katz-und-Maus-Spiel. Manager realisieren die Fehlsteuerung und bringen weitere, differenzierende Kennzahlen ins Spiel. Daraus ergibt sich schnell ein wucherndes System – wie es schon lange als Totengräber der Bürokratie erkannt wurde: Vor lauter Ausnahmen geht die Regel in der Komplexität unter. „Die Forschung legt also nahe, dass Führungskräfte sich vom Traum der einen richtigen Kennzahl lösen und stattdessen klug zwischen Einfachheit und Nebenwirkung abwägen sollten,“ resümiert der Autor. Ich hätte da eine bessere Idee: Man könnte sich auch von der Idee des Managements durch Führungskräfte verabschieden und Teams zur Selbstorganisation empowern. Das wäre eine einfachere und vor allem eine systemische Lösung. Doch ich fürchte: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass sich ein BWLer aus dem Zahlenzirkus verabschiedet.