KRITIK: Es ist schon bemerkenswert: Immer noch kommen neue Tools auf den Markt, die dabei helfen sollen, die Stimmung in der Belegschaft zu erfassen, die Zusammenarbeit zu optimieren und vor allem die Mitarbeiterbindung zu erhöhen. Offenbar schaffen es Start-ups, ihre Produkte so darzustellen, dass sich Personaler hiervon einen Mehrwert versprechen. Zwei Beispiele aus dem Personalmagazin zeigen, wie unterschiedlich dabei der Fokus sein kann.
In dem ersten Fall geht es um ein IT-Unternehmen, in dem es zehn Scrum-Teams gibt (Aufs Echo hören). Diese halten regelmäßige Retrospektiven ab, also Meetings, in denen besprochen wird, was gut, was weniger gut läuft und was man verbessern kann und wird. Also wozu dann Mitarbeiterbefragungen, dachte ich beim Lesen. Ich hatte die Hoffnung, dass in Unternehmen, die für die direkte Kommunikation unter und zwischen den Mitarbeitern sorgen, solche anonymen Umfragen endlich der Vergangenheit angehören.
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„Echometer“
In diesem Fall lautet die Begründung: Durch die Arbeit im Homeoffice suchte man „eine digitale Möglichkeit, die regelmäßigen Retrospektiven der agilen Teams zu ersetzen.“ Seltsam – wieso lassen sich Retrospektiven nicht auch per Videokonferenz abhalten? Die zweite, nicht so deutlich beschriebene Begründung: Es war schwierig, „ein allgemeines Stimmungsbild über mehrere Wochen oder Monate im Blick zu haben und daraus notwendige Maßnahmen abzuleiten …“. Darin könnte der Anspruch, übergeordnete Daten zu sammeln, zum Ausdruck kommen, um auf der Managementebene Maßnahmen zu entwickeln – so wie das bei klassischen Mitarbeiterbefragungen ein häufig anzutreffendes Motiv ist.
Tatsächlich aber scheint es hier mehr um ein Tool für den Alltag der Teams zu gehen. Es nennt sich „Echometer“, alle zwei bis vier Wochen fragt es vier bis fünf Aspekte der Zusammenarbeit ab und liefert durch Fragen „Denkanstöße“. Daher auch der hochtrabende Begriff „Teamentwicklungssoftware“. Die Ergebnisse dieser Teambefragung werden dann an das Team zurückgemeldet und in der Retrospektive diskutiert. Es sorgt also offenbar für ein wenig mehr Systematik bei diesen Diskussionen. Hieraus werden dann Maßnahmen abgeleitet.
Maßnahmen
Welche das in diesem Fall sind, wird auch beispielhaft beschrieben. Man kürzte die Teammeetings, weil die Mitglieder darüber geklagt hatten, zu wenig Zeit für Pausen und Vorbereitung zu haben. Zudem vereinbarte man, an bestimmten Nachmittagen oder ganzen Tagen komplett auf Meetings zu verzichten, um in Ruhe am Stück arbeiten zu können. Man protokolliert auch Nebenbeschäftigungen, die wichtig, aber nicht direkt im Zusammenhang mit den eigentlichen Aufgaben stehen. Als eine Umstrukturierung anstand, sorgte man für Workshops, um die auftretende Unsicherheit mit notwendigen Informationen zu beheben. Schließlich wurde ein „Hack Day“ eingeführt – alle drei Monate können die Mitarbeiter zwei Tage lang an Innovationen arbeiten.
Was das Tool offenbar auch bietet: Es erfragt die Zufriedenheit der Mitarbeiter – der Klassiker. Auf diese Weise erfuhr die Unternehmensleitung, dass die Zufriedenheit nach der Ankündigung der Umstrukturierung deutlich absackte, nach den Workshops aber wieder auf fast 100% kletterte. Und dass die Einführung der Hack Days ebenfalls die Stimmung deutlich hob. Zwei Fliegen mit einer Klappe, denke ich. Die Mitarbeiter werden unterstützt bei ihren Retrospektiven, die Unternehmensleitung freut sich, wenn die Stimmung steigt. Also keine schlechte Idee offenbar.
Fluktuation bekämpfen
Kritischer sehe ich die Sache in dem zweiten Beispiel. Hier hatte ein produzierendes Unternehmen der Metallindustrie mit hohen Fluktuationszahlen und vielen Krankheitstagen zu tun und fragt sich, ob es sich bei „den negativen Rückmeldungen aus der Belegschaft zu gewissen Themen um Einzelmeinungen oder generelle Wahrnehmungen“ handelte (Mit Feedback gegen Fluktuation). Lustig!. Die Leute kündigen oder werden krank und die Leitung ist sich unsicher, ob vielleicht nur einzelne Mitarbeiter unzufrieden sind.
Weil die Mitarbeiter in den Produktionsstätten – man staune – „normalerweise über keine Firmen-E-Mail-Adresse verfügen“, musste ein digitales Umfragetool her, eine „Feedback- und Analyseplattform“. Wie diese genau funktioniert, bleibt in dem abstrakten Text unklar. Sie soll „KI-gestützt“ sein und den Führungskräften helfen, Maßnahmen zu ergreifen und die „Arbeitserfahrung“ (die „Employee Experience“) zu verbessern. Und so nebenbei den Personalern, ihr Image aufzupolieren.
Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen: Die Fluktuation sank im ersten Jahr um 25%, die Wechselbereitschaft in den ersten sechs Monaten gar um 45%. Die Fehlzeiten gingen um 33% zurück. Der Betriebsrat wurde eingebunden, die Führungskräfte wurden mit einem Gamification-Ansatz motiviert, für eine hohe Rücklaufquote der Befragungen zu sorgen. Was letzteres wohl sein mag? Eine Rangliste, mit der man die „Top-Scorer“ ermittelte?
Bei solchen „Erfolgen“ denke ich immer an den Hawthorne Effekt. Endlich hat sich mal jemand ernsthaft für die Befindlichkeit der Mitarbeiter interessiert, da steigen Motivation und Stimmung. Was haben eigentlich die Führungskräfte die ganze Zeit vorher gemacht? Der zweite „böse“ Gedanke: Es gelang, dass, was ohnehin bekannt war, endlich mit Zahlen zu belegen, ein Tool sorgt für objektive Werte. Vorher waren die Klagen eben nur individuelles Jammern. Irgendwie bitter.