KRITIK: Stellen Sie sich vor, jemand kommt zum Coach und bittet darum ihm zu helfen, seinen Vorgesetzten, der sich vernünftigen Argumenten verweigert, zu überzeugen. Ein legitimes Ansinnen? Sicher. Das sollte auch im Interesse der Vorgesetzten sein, die gar nicht mehr alle Informationen, die sie zum Entscheiden benötigen, aufnehmen und verarbeiten können. Mehr noch: Die sich freuen sollten, wenn ihre „Untergebenen“ sie vor fatalen Fehlentscheidungen bewahren.
Tun sie aber offenbar nicht wirklich. Sie müssen deshalb „mit wohlüberlegten, einprägsamen Ideen und strukturierten Informationen“ überzeugt werden. Nur: Wie macht man das, ohne dass sich der Chef bevormundet fühlt? Vielleicht am besten so, dass er am Ende glaubt, von selbst auf die Idee gekommen zu sein?
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All das habe ich mir nicht ausgedacht, sondern steht so in einem Beitrag der Wirtschaftswoche, wo seriöse Fachleute wohl gemeinte Tipps geben (Wie führe ich meinen Chef?), als da wären:
- Den Chef mit kleinen Häppchen füttern. Also hier und da schon mal Hinweise tröpfchenweise fallen lassen, nicht mit der Tür ins Haus fallen.
- Die Reputation anderer nutzen, also nebenbei erwähnen, dass man einen Tipp von einem anerkannten Fachmann erhalten habe.
- Auf stete Wiederholung setzen, die in einen groben Plan münden, dann ein konkretes Konzept mit Budgetvorstellungen präsentieren.
- Sich überlegen, was für den Chef bei der Sache herausspringen könnte, denn auch er muss wiederum einen Chef überzeugen. Das Vorhaben sollte also auch ihm einen Nutzen bringen.
Bis hierhin kann ich gut folgen, das würde ich einem Mitarbeitenden auch empfehlen, wenn er mir erklärt, sein Chef tue sich schwer damit, Vorschläge seiner Teammitglieder anzunehmen. Wo ich aber staune ist die Aussage, dass man sich klarmachen sollte, „dass es zur Aufgabe dazugehört, auf den Chef einzuwirken.“ Das ist lustig. Ich stelle mir das Einstellungsgespräch mit dem Personaler oder dem nächsthöheren Vorgesetzten vor: „Zu Ihren Aufgaben gehört es, Einfluss auf Ihren Chef zu nehmen, ihn davon abzuhalten, unsinnige Entscheidungen zu treffen. Nicht nur einmal darauf hinzuweisen, sondern auch beharrlich nachzuhaken …“
Schriftlich dokumentieren
Im Ernst jetzt? Spätestens hier würde ich mich bedanken und mich nach einem anderen Arbeitgeber umschauen. Es geht nämlich noch weiter mit den Tipps: Wenn sich irgendwann herausstellt, dass man nicht genug unternommen hat, den Vorgesetzten von falschen Entscheidungen abzuhalten, dann fällt das sogar auf einen selbst zurück. Deshalb sollte man möglichst jede Unterhaltung, ob mündlich oder schriftlich, dokumentieren. Sonst heißt es irgendwann, dass man nicht verständlich oder beharrlich genug über die Nachteile informiert habe.
Wohlgemerkt: Wenn man tatsächlich in einer solchen Zwickmühle steckt, würde ich auch empfehlen, schriftlich zu dokumentieren, dass man seine Bedenken geäußert hat. Und genau das auch kundzutun: „Chef, ich halte also fest, dass Sie entgegen meinen Empfehlungen und Argumenten auf der Entscheidung bestehen – ich möchte sicher gehen, dass es hier kein Missverständnis gibt.“ Könnte sogar sein, dass dieser Hinweis noch einmal ein Umdenken erzeugt.
Auch eine Frage der Kultur
Aber möchten Sie in einer Organisation arbeiten, in der Sie damit rechnen müssen, entgegen aller Vernunft Dinge umsetzen zu sollen? Und in der Sie eine gute Idee so verkaufen müssen, dass der andere denkt, es sei seine eigene – und das nur deshalb, weil er Ihnen hierarchisch übergeordnet ist? Würden Sie sich nicht fragen, warum dann die Führungskräfte das höhere Gehalt bekommen und nicht Sie als jemand, der nicht nur gute Ideen haben soll, sondern auch noch den eigenen Vorgesetzten von diesen überzeugen muss?
Oder lieber in einer Organisation, in der sich Führungskräfte „unterwachen“ lassen? Damit ist gemeint, dass diese ihren Mitarbeitenden ermöglichen, ihre Ideen umzusetzen. Und für den Fall, dass es mal schief geht, sich vor die Mitarbeitenden stellen und sich verantwortlich verhalten. Oder in der man gleich ganz auf diese Art „Chef“ verzichtet …