4. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Von wegen rational

So leistungsfähig unser Gehirn auch ist – wir Menschen haben nur eine begrenzte Kapazität, Informationen zu verarbeiten. Also suchen wir nach Möglichkeiten, Entscheidungen zu vereinfachen. Das wiederum macht uns anfällig für Beeinflussung. Eine kleine Übersicht über die Wirkung von Worten, Zahlen, ersten Eindruck, Kontrasten oder gar Tageszeiten.

Zu dem Thema gibt es eine Menge Theorien, Andreas Winheller hat sie sich in der Zeitschrift für Konfliktmanagement vorgenommen und stellt die Frage, welche Konsequenzen „Framing-Effekte“ für die Arbeit eines Mediators haben, der ja unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf einer Konfliktklärung hat (Framing in der Mediation, Teil 1 bis 3). Etliche Effekte zählen inzwischen zum Allgemeinwissen – aber hilft uns dieses Wissen? Erst mal einige Beispiele:


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Wie formulieren wir Fragen, wenn wir vom anderen gerne eine Zustimmung hätten? Sie kennen vermutlich die schöne Anekdote vom jungen Mönch, dem der Abt auf die Frage: \“Darf ich beim Beten rauchen?“ mit nein geantwortet hat, es dem Älteren allerdings gestattet. Dieser hatte gefragt: \“Darf ich beim Rauchen beten?“ Also aufgepasst, wenn Sie vor Alternativen gestellt werden.

Formulierungen, die den Verlust betonen, führen bekanntlich zu anderen Ergebnissen als wenn der Fokus auf den Gewinn gelegt wird. Wird also gefragt: „Bei Behandlung A werden Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 30% gesund, wenn Sie nichts tun, besteht zu 90% die Gefahr, dass Sie weiter leiden.“ werden Sie anders entscheiden als bei dieser Option: „Bei Behandlung A werden Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 70% weiter unter den Symptomen leiden, tun Sie nichts, können Sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 10% damit rechnen, dass die Symptome verschwinden.\“ Bei der zweiten Version wird die Krankheit hervorgehoben, deshalb werden wohl bei Option 1 mehr Menschen der Behandlung zustimmen.

Trennen Sie sich  ungern von Dingen, auch wenn sie offensichtlich kaum noch einen Wert haben? Interessant: Was ich bereits besitze, hat einen höheren Wert als der gleiche Gegenstand, den ich noch nicht besitze. Wenn man Versuchspersonen die Wahl zwischen einer Tafel Schokolade und einer Kaffeetasse lässt, entscheidet sich je eine Hälfte für eine der Optionen. Schenkt man jedoch einer Hälfte die Schokolade und der anderen die Tasse und bietet ihnen dann an, gegen den anderen Gegenstand zu tauschen, sind dazu nur noch 10% bereit. Man kann sich vorstellen, dass dieser Effekt bei Finanzgeschäften massive Auswirkungen hat: Aktien, die man besitzt, hält man fest, egal wie stark sie gesunken sind, aber man würde sie vermutlich nicht kaufen. Das nennt man Besitztumseffekt. Das macht Verhandlungen schwierig, bei denen jemand etwas abgeben oder aufgeben muss.

Wie Formulierungen Entscheidungen beeinflussen, sehen wir auch täglich in den Medien (politisches Framing). Spannendes Experiment dazu: In einem Text über Kriminalitätsraten, der identisch ist bis auf einen Begriff (einmal wird die Metapher „Virus“ verwendet, beim anderen die einer „gefährlicher Bestie“), sind bei der anschließenden Frage nach Gegenmaßnahmen beim zweiten Text  viel mehr Leser für härtere Strafen und mehr Polizei. Bei der anschließenden Nachfrage verweisen alle auf die Fakten. Also Achtung bei allen sprachlichen Bildern, die mehr als einen Fakt oder eine Zahl beschreiben.

Apropos Zahl: Hier spielt die gefühlte Größe eine Rolle, nicht unbedingt die absolute Größe. Wussten Sie, dass 24,11, wenn man dies ausspricht, weniger Silben hat als 23,87, letztere sich deshalb größer anfühlt? Zahlen ohne Währungszeichen (13) wirken kleiner als mit (13€). Kleine Prozentangaben wirken weniger als der gleiche Wert in absoluten Zahlen (3% bei einem Gesamtpreis von 100.000 Euro wirkt wenig, 3.000 Euro hingegen fühlt sich nach viel Geld an). Also gerade dann, wenn jemand mit Prozentzahlen um sich wirft, einmal schauen, um welche Werte es tatsächlich geht.

Wie Anker unsere Entscheidungen lenken

All das mag man noch in gewisser Weise beeinflussen können. Aber gegen einen Mechanismus scheinen wir dann doch machtlos zu sein. Gemeint ist, dass vor einer Entscheidung in unserem Gehirn ein Anker gesetzt wird, und zwar auch völlig ohne Beziehung zum eigentlichen Problem. Also wenn man Menschen ein Glücksrad drehen lässt, das manipuliert wurde, so dass eine Gruppe bei 65 landet, die andere bei 10, dann ist die erste Gruppe bei einer anschließenden Kaufentscheidung bereit, mehr Geld auszugeben. Der Kontakt mit irgendeiner Zahl hat also gereicht (Incidental environmental anchor). Was dazu führt, dass Besucher eines Lokals mit dem Namen Studio 17 durchschnittlich weniger ausgeben als diejenigen im Studio 97 – bei gleicher Speisekarte. Wie groß mag die Haftstrafe für einen Angeklagten ausfallen, wenn der Richter am Morgen in der Zeitung große Zahlen gelesen hat?

Richter sind ein gutes Stichwort: Nicht nur Zahlen, die man irgendwo zufällig kurz vorher wahrgenommen hat, beeinflussen Entscheidungen, auch emotionale Zustände. Was nicht weiter verwundert, allerdings uns doch sehr zu denken geben sollte: Werden wir vor einer Entscheidung an ein positives Ereignis erinnert, entscheiden wir anders, als wenn das nicht der Fall ist. Menschen, die zuerst nach der Date-Häufigkeit gefragt wurden und dann nach der Zufriedenheit im Leben, antworten auf die zweite Frage deutlich positiver. Hier wurden emotionale Zustände geankert.

Was übrigens ganz banal durch das Wetter, die Raumtemperatur, die Trinkmenge oder einfach unsere körperliche Verfassung geschehen kann. Besagte Richter stimmten Anträgen, die am Morgen gestellt wurden, deutlich häufiger zu als kurz vor der Mittagspause. Die Zustimmung steigt nach der Pause an und sinkt dann wieder. Hintergrund hier: Der Richter vermeidet bei Müdigkeit Entscheidungen und behält lieber den Status quo bei (ego depletion). Ach ja: Menschen, die auf bequemen Stühlen sitzen, verhandeln deutlich kooperativer als jene, die auf harten Sitzen verharren. Also sollten Sie Ihren Einkäufern keine weiche Sessel hinstellen.

Wie Kontraste wirken

Ein spezielles Prinzip machen sich oft Verkäufer zunutze: Das Kontrastprinzip: Wenn ich zuerst eine Anfrage bekomme mit einer unannehmbaren Forderung (und diese ablehne), bin ich eher bereit, auf eine zweite Forderung einzugehen, die darunter liegt – auf die ich sonst nicht eingehen würde. Durch den Kontrast zur ersten Zahl wirkt das neue Angebot plötzlich günstier als es ist. Das hat auch damit etwas zu tun, dass bei zwei aufeinander folgenden Reizen der Unterschied deutlich größer wirkt – halten Sie mal eine Hand in heißes und die andere gleichzeitig in kaltes Wasser und tauchen dann beide in lauwarmes Wasser.

Hier kommt noch ein Phänomen hinzu: Wenn mir der andere plötzlich und ohne Not „großzügig“ entgegenkommt, dann wirkt das Reziprozitätsprinzip: Wenn mir jemand entgegenkommt (auch von einem eigentlich viel zu hohen Preis), dann glaube ich, ihm dankbar sein zu müssen – es sei denn, der Trick ist allzu offensichtlich. So sind Probanden eher bereit, freiwilig junge Menschen in den Zoo zu begleiten, wenn sie vorher die Frage, ob sie zwei Jahre lang jede Woche zwei Stunden Sozialarbeit zu leisten bereit seien, abgelehnt hatten.

Alle Rabatt-Angebote nutzen das: Eine Flasche Wein, die ich nicht für 10 Euro kaufen würde, erscheint mir plötzlich günstig, wenn ich erfahre, dass sie vorher 15 gekostet hat. Ich habe gefühlt \“einen guten Deal\“ gemacht.

Es gibt vermutlich noch viele weitere Beispiele, wie Faktoren unsere Entscheidungen beeinflussen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Und damit anfällig sind zum einen bei Verhandlungen und Kaufentscheidungen. Zum anderen aber beeinflussen wir auch die Entscheidungen anderer. Womit wir bei professionellen Moderatoren und Mediatoren sind.

Sollten diese über die genannten Phänomene im Bilde sein? Sicher, werden Sie sagen. Schon allein die Tatsache, dass sie wissen, wie eine Umgebung, der Einstieg in die Moderation oder Mediation den weiteren Fortgang beeinflusst, kann helfen, grobe Schnitzer zu vermeiden.

Aber gar nicht beeinflussen geht nun mal nicht. Wir müssen kommunizieren, und je nachdem, wie wir unsere Fragen formulieren, wen wir zuerst zu Wort kommen lassen (z.B. in der Mediation) setzen wir Framing-Prozesse in Gang. Können wir da überhaupt neutral sein? Wohl kaum. Die übliche Empfehlung lautet: Man solle sich der Wirkung dieser Effekt bewusst sein. Zumindest von ihrer Existenz wissen und hoffen, dass uns auffällt, wenn sie Entscheidungsprozesse z.B. in einer Mediation oder Moderation beeinflussen.

Ziemlich anspruchsvoll. Aber wie verhindern wir, dass wir selbst durch unser Vorgehen Entscheidungen in bestimmte Richtungen lenken? Allein dadurch, dass wir Fragen stellen, ist schon klar, dass wir damit eine bestimmte Reaktion wahrscheinlicher machen und einen andere unwahrscheinlicher.

Wir können versuchen, die Effekte möglichst auszugleichen, indem wir einmal die eine, dann die andere Partei einen Vorschlag machen lassen. Oder indem wir die Reihenfolge von Äußerungen per Losverfahren festlegen. Scheint mir fast die beste Option zu sein: Vieles per Zufall geschehen lassen. Irgendwie ernüchternd.

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