REZENSION: Elisabeth Wehling – Politisches Framing. Herbert von Halem Verlag 2016.
Was war das turbulent in den letzten Wochen! Unter anderem im US-amerikanischen Wahlkampf, aber auch an anderen politischen Hotspots konnte man erleben, wie Sprache zur Waffe werden kann. Wie Menschen plötzlich Parolen gutheißen und Kandidaten bejubeln, die sie bei näherer Betrachtung und Untersuchung nicht mehr unbedingt aufrecht erhalten würden. Und wie solche Botschaften mittels Medien lautstark kommuniziert und vervielfältigt werden – insbesondere mittels Microblogs und Social-Media-Networks.
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Am Ende stellten sich etliche Botschaften aber als Fake-News heraus – oder als sogenannte „alternative Wahrheiten“. Gar mancher resignierte sogar vor der Vielfalt der Meinungen, ohne zu ahnen, dass das offenbar eines der obersten Ziele der Meinungsmacher ist, die Leute zu verunsichern, ihnen den Glauben an vertrauensvolle, sichere Informationen zu nehmen. Denn es hilft den Machthabern, wenn das Publikum nicht mehr weiß, was es glauben soll – man immunisiert sich so grundsätzlich gegen Kritik.
Frames
„Menschen sind rationale Wesen. Sie können vernunftgesteuert handeln. Legt man nur alle relevanten Fakten auf den Tisch, können sie diese objektiv gegeneinander abwägen und entscheiden, was zu tun ist,“ kritisiert Elisabeth Wehling, in Hamburg geborene Soziologin, die im kalifornischen Berkeley bei George Lakoff studierte und in Linguistik promovierte, althergebrachte Vorstellungen über das Wesen der politischen Kommunikation als populären Irrglauben. Mit den modernen Erkenntnissen der Neuro- und Kognitionsforschung seien solche Vorstellungen jedenfalls nicht zu vereinbaren. „Weil in politischen Debatten nicht Fakten an und für sich entscheidend sind, sondern gedankliche Deutungsrahmen,“ so Wehling. In den kognitiven Wissenschaften nenne man sie Frames. „Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen (…). Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen (…), sie leiten Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten“ (S. 17f.).
Wehling bringt in ihrem Taschenbuch zahlreiche populäre Beispiele für Framing. Sie zeigt dabei, wie Metaphern unser Denken steuern, indem abstrakte Konzepte an unsere Alltagserfahrung, unser gewöhnliches Denken, Fühlen und Verhalten andocken. Zuneigung wird mit Wärme, mit Nähe assoziiert, Relevanz mit Gewicht und göttlich mit oben. „Die entscheidende Frage für politische Transparenz und authentische Diskurse ist also nie, ob Metapher. Die entscheidende Frage ist: welche Metapher“(S. 80)?
Frames als Bündel von Einstellungen und Wissenskomponenten
Das könnte jetzt philosophisch werden, geht aber auch recht praktisch: Sind Steuern eine Last? Muss man sich von ihnen befreien? Sich ihrer erleichtern oder sie gar fliehen – ins Steuerasyl oder -paradies? Oder sind sie ein Beitrag zum Gemeinwesen? Politische Metaphern sind verräterisch, wenn man erst einmal beginnt, sich mit ihnen zu beschäftigen. So könnte man sich einmal fragen, warum unser soziales Miteinander ein Wettkampf um die besten Plätze sein muss, bei dem die sozial Starken und die sozial Schwachen miteinander ringen. Da geht es offenbar um Schichten, also oben und unten – Wehling nennt dies den Vertikalitätsframe. Den Absturz mildert das soziale Netz, das natürlich nicht zur Hängematte umfunktioniert werden darf. Denn der Sozialtropf, an dem da so viele Bedürftige hängen, kann auch zur Armutsfalle werden …
Wehling bringt dermaßen viele Themen aufs Tapet, dass es nur so klingelt im Hinterkopf. Ein Aha-Erlebnis jagt das andere. Die Erkenntnis, dass man mit dem Gebrauch solcher Metaphern Schemata und Vorurteile bemüht und gleichzeitig verstärkt, drängt sich auf. Und dass man auch falsche, hinkende Vergleiche nutzen kann und damit politische Diskussionen beeinflussen und lenken kann, ebenfalls. Erderwärmung hört sich doch ganz kuschelig an – Klimakatastrophe hingegen weniger. Sollten wir nicht achtsamer werden im Ausdruck?
Wenn es im Hinterkopf klingelt
Doch bei genauerem Hinsehen und Nachprüfen von Zitaten können den Leser auch Zweifel beschleichen: Werden hier Fundstellen selektiv ausgewählt? Die Zitate passen alle zusammen. Doch statistische Daten über Häufigkeiten, Ausnahmen und Widersprüchlichkeiten sucht man vergebens. Schreibt sich die Autorin da etwa ein Szenario zusammen, das einer kritischen Prüfung nicht wirklich standhält?
Wehlings Buch richtet sich an eine breite Leserschaft. Dass sie sich hier nicht immer in die Details versenken kann, ist verständlich. Jörg Matthes Lehrbuch (Framing) ist aber ebenfalls leicht lesbar. Zudem gut strukturiert und differenziert. Das Framing-Konzept wird hier kritisch betrachtet. Auch das ist erhellend. Denn er bettet das Konzept entwicklungsgeschichtlich ein. So erfährt man viel über die Vorgängerdiskussionen in der Soziologie, der Psychologie sowie den Kommunikationswissenschaften.
Dabei offenbaren sich etliche begriffliche, aber auch methodische Unschärfen. So darf man wohl ungestraft behaupten, das Framingkonzept ist umstritten. Es gibt zahlreiche empirische Befunde und konzeptionelle Weiterentwicklungen. So gibt es beispielsweise in der Psychologie alternative Konzepte wie Schemata, Vorurteile, Heuristiken, die recht gut erforscht sind. Frames als Bündel von Einstellungen und Wissenskomponenten siedeln demgegenüber auf einem mittleren Niveau zwischen Konkretem und Abstrakten – und sind somit weniger greifbar. In den Sozialwissenschaften haben sich Methoden, wie sie Philipp Mayring mit der qualitativen Inhaltsanalyse schon lange beschreibt, bewährt. Mit ihrer Hilfe lässt sich wissenschaftlich fundiert und nachvollziehbar Klarheit herstellen – ob bei der Auswertung von Experteninterviews oder in der medienwissenschaftlichen Wirkungsforschung. Und selbstverständlich kann man auch noch tiefer einsteigen. So gibt es inzwischen Methoden zur Analyse von Videomaterial (Kauffeld & Montasem). Und mit linguistischen Methoden (Graf) kann man noch feiner arbeiten.
Zwischen Simplifizierung und wissenschaftlicher Akribie – bleibt die Frage für die Praktiker: Wäre es nicht sinnvoll, auch im betrieblichen Alltag immer wieder zahlreich verwendete blumige Metaphern zu hinterfragen? Was genau meint jemand beispielsweise, wenn er von Leistungsträgern spricht? Von Arbeitskampf, Gerechtigkeit und sozialem Frieden? Von Personalabbau, Agilität und Alternativlosigkeit? Von HR-Business-Partnern und Chief Innovation Managern? Oder wenn angekündigt wird, einen speziellen Mindset in die DNA des Unternehmens zu verpflanzen? – Dumme Fragen können clevere Interventionen sein.