23. Januar 2025

Management auf den Punkt gebracht!

Warum seriös, wenn es auch dilettantisch geht?

INSPIRATION: Das muss man mal loben: Wirtschaftspsychologie-Professor Kanning erforscht systematisch das Thema Personalauswahl. Und fördert dabei immer wieder neue Erkenntnisse zutage. Also vor allem seine Studierenden.

Das ist zumeist erhellend. Und man würde sich wünschen, dass die Erkenntnisse auch von den Praktiker:innen dankbar aufgegriffen und beherzigt werden. Allein: meine Skepsis ist – erfahrungsbedingt – groß.


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Der Beitrag der Autoren Kanning und Dahmke (Kurz gegoogelt ist halb rekrutiert?) liefert dafür leider wieder haufenweise Bestätigung. Es geht um Cybervetting. Das meint die Angewohnheit etlicher Rekruiter, nach persönlichen Daten von Bewerberinnen und Bewerbern im Internet zu suchen. Das ist nicht neu. Und es wurde auch schon gehörig und fundiert vor allerlei Dilettantismus gewarnt, derlei Daten leichtfertig für die Auswahlentscheidung zu nutzen (Personalauswahl: Overengineering vermeiden).

Mal eben googeln …

Es ist klar: Wir alle hinterlassen Spuren im Internet. Dass man da auf die Idee kommen kann, Menschen zu googeln, kann man verstehen. Dass Rekruiter auf die Idee kommen können, solche Daten – zum Beispiel aus sozialen Netzwerken – zu nutzen, gleichfalls. Allerdings ändert sich mit dem Kontextwechsel – vom Privaten ins Business – der juristische Rahmen. „Im Gegensatz zu Bewerbungsunterlagen handelt es sich hierbei um Informationen, die von den Betroffenen nicht explizit zum Zwecke der Personalauswahl freigegeben werden.“ Die Rekruiterin, die jetzt müde lächelt, hat allerdings die Tragweite nicht verstanden. Es ist nicht bloß ein ethisches Problem, sondern kann leicht auch justiziabel werden (AGG).

Jenseits dessen ergibt sich ein weiteres, gravierendes Problem: Es stellt sich die Frage, wie valide solche Daten im Rahmen der Personalauswahl sind. Wer genüsslich oder sogar voyeuristisch allerlei Daten sammelt und sich daraus sein Bild bastelt, handelt maximal unprofessionell. Vorurteile, implizite Annahmen, Zufälle und ein selektiver Blick kulminieren dabei schnell zu einem gefährlichen Mix. Dummheit kann teuer werden. Denn die beiden Fehler in der Personalauswahl, die Talente laufen lassen und die Blender einstellen, lassen sich nicht vollständig eliminieren.

Aber eingrenzen. Das benötigt allerdings Professionalität, wofür ein Arbeiten nach der DIN 33430 steht. Daher fordern Kanning und Dahmke auch, als erstes den Anforderungsbezug zu klären. „Feucht-fröhliche“ Fotos oder Videos vom Weihnachtsmarkt haben in der Regel nichts mit dem Job zu tun. Wer solches trotzdem unterstellt, pflegt bloß seine Vorurteile. Ohne sie unbedingt als solche zu erkennen.

Empirische Studie

An der Online-Fragebogen-Studie nahmen 164 Personen aus dem Bereich der betrieblichen Personalauswahl teil. Die, die Cybervetting bisher nicht nutzen (61%, also die deutliche Mehrheit), begründen ihre Abstinenz mit der mangelhaften Datengüte im Netz. Das lässt hoffen. Allerdings geben dreiviertel der Befragten an, „dass sie schon einmal Cybervetting angewendet haben. Von diesen Personen nutzen allerdings nur 27 Prozent Cybervetting regelmäßig.“

Wir sprechen nun also eher von einem Drittel der Befragten: Sie „googlen“ vor allem bei der Auswahl von Fach- und Führungskräften (ca. 70 bis 80 %). Auszubildenden und Trainees steigt man deutlich seltener hinterher (ca. 30 bis 40 %). Und sie nutzen die Daten zur Vorauswahl (50 %) oder als Vorbereitung auf das Einstellungsinterview (62 %), weniger für die Endauswahl (18 %). Der Schaden, den man damit anrichten kann, dürfte trotzdem nicht unerheblich sein. Denn: „79 Prozent derjenigen, die Cybervetting einsetzen, geben an, dass die hier gewonnenen Informationen schon einmal ihre Bewertungen von Bewerbern beeinflusst hätten.“

Keine Frage, die Rekruiterinnen halten sich für besonders pfiffig. Sie glauben allen Ernstes, sie könnten mit ihrer Recherche berufliche Erfahrungen und den Fit zur Unternehmenskultur überprüfen. Aber auch die Netzwerkkompetenz werde so deutlich oder sogar die Persönlichkeit. Das ist naiv und bitter. Trugschlüsse aller Art werden auf diese Weise begünstigt. Beispielsweise solche zwischen Sportaktivität und Teamfähigkeit – Kanning hat das Argument schon vor Jahren entzaubert. Die Kandidat:innen werden übrigens in der Regel nicht über die Recherche in den – primär beruflichen Netzwerken (LinkedIn oder Xing) – informiert.

Grund zur Sorge?

Deswegen sollten wir uns aber nicht entspannt zurücklehnen. „73 Prozent derjenigen, die Cybervetting bislang nicht nutzen,“ zur Erinnerung, das waren 61% der Befragten, „glauben, dass sie es in Zukunft tun werden.“ Das wären immerhin knapp die Hälfte der Gesamtstichprobe. Und 76 Prozent dieser erwarten eine Zunahme der Nutzung in der Zukunft.

Küchenpsychologie ist halt beliebt, keine neue Erkenntnis. Und das ist selbst unter angeblichen Profis weitverbreitet. Ich erinnere mich noch an ein Pausengespräch während eines einschlägigen Kongresses. Da behauptete ein Personalchef, er hätte sich in all den langen Jahren kein einziges Mal in der Personalauswahl geirrt. Ich konterte nur trocken: Dann träumen Sie mal weiter … Oh, war der wütend!

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