INSPIRATION: Der Inhaber eines kleinen Betriebes hat sich fest vorgenommen, ein Jahr Auszeit zu nehmen und mit seiner Familie auf Segeltour zu gehen. Den Starttermin legt er mit seiner Frau fest, damit er nicht in Gefahr gerät, das Vorhaben immer wieder aufzuschieben. Die Mitarbeitenden ahnen erst mal nichts (Chef ahoi!). Denn bevor er sein Vorhaben verkündet, muss er erst einmal so einiges umstellen. Zum Beispiel seine Stellvertreter festlegen: Es werden der Vertriebsleiter, der Produktionsleiter und der kaufmännischer Leiter.
Sie beteiligt er zunächst einmal an allen möglichen Vorgängen, damit sie mehr Einblick in das Unternehmen bekommen. Denn mit der Idee wird ihm bewusst, dass er jahrelang alle wichtigen Entscheidungen allein getroffen hat. Außerdem sieht er die Notwendigkeit, bestimmte Prozesse schriftlich zu fixieren – so etwas gab es vorher offenbar noch nicht.
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Ein Jahr, bevor es losgeht, informiert er die Belegschaft über sein Vorhaben. Die Reaktion? Durchweg positiv. Auch die drei Stellvertreter reagieren wie erhofft. Sie erhalten für die Zeit seiner Abwesenheit die Geschäftsvollmacht. Entscheidungen sollen sie nach dem Prinzip des konsultativen Einzelentscheids fällen – jeder für seinen Arbeitsbereich allein. Und einmal pro Monat sollen sie ihn über die Lage des Unternehmens in Kenntnis setzen: Auf einer Seite, mit einer Ampel am Anfang. Grün steht für „alles okay“, gelb für „Schwierigkeiten“, rot für „die Existenz steht auf dem Spiel“.
Das Umfeld reagiert weniger verständnisvoll, eher nach dem Motto: „Da bauen drei Generationen ein Unternehmen auf, die vierte geht segeln.“ Über die Begründung tauscht sich das Ehepaar mit einem Coach aus und kommt über die Frage: „Warum macht ihr das?“ zu der einfachen Antwort: „Weil wir es wollen“.
Die Sache geht gut aus. Einmal, während der Corona-Zeit, steht die Ampel auf gelb, fast wäre ein Rot daraus geworden. Aber die Stellvertreter bekommen die Sache in den Griff, der Chef kann seine Reise fortsetzen.
Konsequenzen für das Unternehmen
Interessant der zweite Fall. Hier nimmt sich der Geschäftsführer einer IT-Beratung eine dreieinhalbjährige Auszeit und reist mit seiner Familie per Wohnmobil durch Europa. Das Besondere an diesem Unternehmen (Cologne Intelligence) ist, dass die Gründer es bei ihrem Rückzug an die Mitarbeitenden in Form einer Genossenschaft übergeben. Der Geschäftsführer muss zu der Zeit extrem viel Zeit investieren und will etwas von dieser Zeit seiner Familie zurückgeben. Und da er inzwischen einen Co-Geschäftsführer hat, übernimmt dieser während der Zeit die Geschäfte.
Was sind die längerfristigen Folgen dieser Auszeit? Zum einen die Erkenntnis, dass Chefs zu ersetzen sind. Zum anderen, dass sich während der Abwesenheit auch im Unternehmen etwas ändert. Der Geschäftsführer im zweiten Fall „ist danach die Aufgaben los, die für ihn als Geschäftsführer zu kleinteilig sind.“ So hat er wieder mehr Zeit für strategische Themen und ist entsprechend motiviert.
Der Unternehmer im ersten Beispiel stellt fest, dass zwar noch alle an Bord sind, aber das Betriebsklima während seiner Abwesenheit gelitten hat. Viele Mitarbeitende fühlen sich wohl nicht mehr wahrgenommen, als der Chef fehlt. Das dürfte etwas mit der Unternehmenskultur zu tun haben. Wenn Wertschätzung zuvor bedeutet, dass der Chef sich vor Ort zeigt und auf diese Weise die Arbeit anerkannt wird, dann wird man das sicher vermissen. In einer Genossenschaft, die allen Mitarbeitenden gehört, ist das vielleicht weniger von Bedeutung. Wäre eine Hypothese …
Mein Fazit: Das wäre doch für jede Führungskraft ein interessantes Gedankenexperiment: Welche Dinge müsste ich ändern, so dass ich ohne große Bauchschmerzen für ein Jahr auf Segeltour gehen könnte? Würde vermutlich zu so manchem Aha-Erlebnis führen.