18. Juni 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Wenn’s dann rappelt im Karton

INSPIRATION: Die agile Transformation beschäftigt Unternehmen seit Jahren. Wie kann es gelingen, flachere Hierarchien zu gestalten und damit mehr Selbstorganisation in die Teams zu bringen? Eine spannende und fundamentale Frage.

Es fehlt aber nicht an kritischen Stimmen, die vor „Risiken und Nebenwirkungen“ warnen. Denn die agile Organisation fordert eine Zunahme an Interaktion und Kooperation im Team, damit man steigende Komplexität und Herausforderungen der Umwelt bewältigen kann. „Mehr persönlicher Austausch bedeutet nicht automatisch mehr Effizienz oder Klarheit, sondern oft das Gegenteil: mehr Verwirrung und Konfliktpotential.“ Die Autor*innen (Wenn mehr Ganzheit gefordert wird) hat dieser Wiederspruch nachdenklich gemacht und vorliegendes Studienmaterial noch einmal resümierend querlesen lassen.


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Bauchschmerzen

Wenn man es sich genauer anschaut, dann befinden sich agile Teams in einem „Spannungsfeld zweier sozialer Systemtypen“, die ihre je eigene Systemlogik aufweisen:

  • Organisationen funktionieren mittels formaler Regelungen. Sie weisen eine hierarchische Ordnung auf und sind auf bestimmte Zwecke ausgerichtet. Das Individuum hat eine Rolle qua Mitgliedschaft und ist austauschbar. Im Extrem findet man dieses Verständnis im Bürokratiemodell verwirklicht.
  • Gruppen kennzeichnet Personenorientierung und persönliche Kommunikation. Als Person ist man einzigartig, derjenige hinter der Maske (=Persona) einer Rolle. Gruppen funktionieren durch eine diffuse Mitgliedschaft. In ihnen herrschen informelle Regeln vor. Das wäre im Extrem eine Clanstruktur.

Diese Systemlogiken produzieren folglich unterschiedliche Erwartungen an ihre Teammitglieder, die ihre jeweiligen Vor- und Nachteile haben. Es ist der Vorgesetzte, der die Kündigung ausspricht, nicht der konkrete Rolf Mayer. Oder andersherum: Ich bin es, den seine Partnerin liebt – nicht irgendeinen x-beliebigen Ehemann. Wenn nun „ein agiles Team eine spezifische Art von Gruppe ist, die unter Organisationsbedingungen möglichst selbstorganisiert und selbstbestimmt arbeiten soll,“ kommen sich diese Erwartungen ins Gehege – Konflikte sind vorprogrammiert. „Mitglieder eines agilen Teams müssen einen Umgang mit dem Widerspruch zwischen Person (die in der Gruppe ihren Platz findet) und Rolle (die von der Organisation definiert wird) finden.“

Hase-und-Igel-Spiele

Die Situation wird für die Teammitglieder paradox: Mit welcher Seite des Januskopfes spricht man gerade? Wenn man Pech hat, antwortet einem auf eine Aussage oder Handlung die andere Seite des Kopfes: Ein organisatorischer Double Bind. Dieser Begriff fällt im Beitrag der Autoren allerdings nicht. Sie kommentieren bloß, dass dieser Widerspruch vom Individuum auszubalancieren sei (Erwartungsmanagement). Und dass es „sowohl für den/die Einzelne/n herausfordernd und oftmals mit Zurückweisung bzw. Kränkung verbunden“ sein wird. Dito für das Team.

Die Autor:innen konstatieren, „dass Gruppendynamik den ‚blinden Fleck‘ der Agilität darstellt“. Doch das ist halt bloß die Diagnose. Der Klassiker zur Problemlösung fehlt im Beitrag: Es ist die Rollenanalyse – beispielsweise mit dem Rollogramm (Persona-Analyse). Zwei sich überlappende Kreise symbolisieren die private Person und die Organisation. Die Schnittmenge stellt die Rolle dar. Wird die Schnittmenge maximiert, aufgebläht, wird es eng und kritisch … Und so warnen auch die Autoren: „Konflikte in sehr personenorientierten Teams neigen also entweder eher unterdrückt bzw., wenn nicht mehr möglich, stärker emotional zu eskalieren.“

Politisierungsdilemma

All das erinnert sehr an die 1990er-Jahre, als Unternehmen im großen Stil teilautonome Gruppenarbeit einführten, und man schnell merkte, dass man auf Sozialpsychologie gar nicht vorbereitet war. Ob heutzutage die Scrum Master und Agile Coaches mit Gruppendynamik gut umgehen können, ob sie dafür überhaupt ausgebildet sind, darf man getrost bezweifeln. Wie war das gleich noch mit dem Goethe’schen Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los“. Doch sehe ich keinen Zaubermeister herbeieilen, der zum Schluss „In die Ecke, Besen, Besen! Seid’s gewesen!“ befiehlt.

Wie geht die Geschichte also aus? Bei den einen die Vollbremsung, bei den anderen das langsame Verhungern, bei den anderen der manische Burnout … oder wird es auch tolle Vorzeigemodelle geben: Best Practice? Wirkliches New Work? Eine Expertenrunde, die das Thema Gruppendynamik diskutiert (Agiles Arbeiten und Gruppendynamik), sieht jedenfalls ebenfalls „ein unheimliches Überforderungspotential“. Die Expert:innen erkennen in Agilität und New Work allerdings auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen gespiegelt.

Vielleicht muss man aber auch ein wenig entspannter an die Sache herangehen. Wenn ich gerne als ersten Hauptsatz der Organisationsentwicklung formuliere „Ich will so bleiben wie ich bin“, sollte man nicht vergessen, auch den zweiten Hauptsatz zu benennen: „Ein rollender Stein setzt kein Moos an“. Wir Menschen müssen solche fundamentalen Fragen halt immer wieder neu ausdiskutieren, unsere Erfahrungen machen, auch Fehler, auch Konflikte erleben – und lernen …

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