4. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Alte Tools

REZENSION: Nele Graf / Stephanie Rascher / Andre M. Schmutte – Teamlead – Führung 4.0. SpringerGabler 2020.

Die Führungsforschung der letzten hundert Jahre drehte sich überwiegend um die Führungskraft. Sie wurde weitgehend für die Leistung des Teams verantwortlich gemacht. Erst Mitte des letzten Jahrhunderts begann sich die Optik zu drehen bis sogar ins (missverstanden agile) Gegenteil: Teams bräuchten keine Führungskraft, sie könnten ihre Arbeit selbstorganisieren, kann man gelegentlich hören. Doch das ist viel zu kurz gesprungen, weil dann statt Führung Selbstorganisation erklärt werden müsste.


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Sprechen wir also über nicht den Mittelweg, sondern vielmehr über die Synthese. Womit die qualitativ höhere Ebene der Einsicht gemeint ist. Und sprechen wir dann konkret darüber, wie Teamarbeit gut gestaltet werden sollte. Die Führungskraft wäre dann als Experte für soziale Systeme zu adressieren. Damit verlassen wir zwangsläufig die alten mechanistischen Vorstellungen von Teamarbeit: Fokus aufs Individuum, seine Persönlichkeit, seine Fähigkeiten, und dass das Ganze die Summe dieser Teile sein soll. Nichts Neues eigentlich. Diese Position lässt sich schon in der Boomphase der Gruppenarbeit in den 1990er-Jahren finden oder in der Gruppendynamik, die letztlich auf Kurt Lewin zurückgeht, der wiederum von manchen – völlig zurecht – als ein Gründervater systemischen Denkens bezeichnet wird.

Essenz eines Forschungsprojekts

Im Rahmen eines mehrjährigen wissenschaftlichen Forschungsprojekts (gefördert vom BMAS) haben die Autoren dieses Buchs die Teamführung erforscht, neu konzipiert und überprüft. Das Modell benennt sechs aufeinander aufbauende Systemfunktionen mit insgesamt 23 konkreten Führungsaufgaben:

  1. Differenzmanagement: Integration, Identifikation, Zielbindung
  2. Ressourcenmanagement: transparente und funktionale Akquise und Verteilung
  3. Strukturmanagement: soziale und funktionale Aufgaben- und Rollenverteilung
  4. Prozessmanagement: Regelung der Abläufe
  5. Reflexionsmanagement: Evaluation und Prozesskorrektur
  6. Entwicklungsmanagement: Auffangen von Überlastung

Das Buch beschreibt auch den Weg der Autoren zum Modell: Den Start bildete eine qualitative Befragung von Experten zu erfolgreichen Handlungsstrategien und Zukunftsszenarien. Im Anschluss wurde eine deutschlandweite Führungskräfte-Befragung zur weiteren Präzisierung durchgeführt. In der dritten Projektphase wurde das Modell anhand eines Planspiels experimentell überprüft. Zum Abschluss überprüfte das Forscherteam das Modell mittels Beobachtungen in Teamsitzungen. Es wurde also ein sehr großer Aufwand betrieben. Die Forscher konnten zeigen, dass Teams mit diesem Modell signifikant produktiver sind, einen höheren Grad an Komplexität verarbeiten und die Selbststeuerung ständig verbessern können.

Beispiel: Differenzmanagement

Es würde den Rahmen dieser Rezension sprengen, hier alle 23 Aufgaben detailliert zu beschreiben. Daher soll an dieser Stelle beispielhaft die erste Funktion mit ihren fünf Aufgaben betrachtet werden. Differenzmanagement meint, dass das Team die Grenzen zur Umwelt klären, die Zielklarheit sichern und den Spagat zwischen Individualität und Gruppenorientierung meistern muss. Es sind die fünf Führungsaufgaben „Sinn stiften“ (Vision), „Teamgeist stärken“ (Werte und Spielregeln), „Teamexterne Schnittstellen koordinieren“, „Mitarbeiter individuell führen“ sowie „Selbstführung“ wahrzunehmen.

Was dies im Einzelnen bedeutet und wie es konkret bewerkstelligt werden kann, wird dann im Buch im Detail ausgeführt. Dem Belesenen wie dem Praktiker dürften die Themen und Beispiele allerdings sehr bekannt vorkommen: Konzepte wie die sogenannte Teamuhr nach Tuckman werden zwar relativiert, im Weiteren aber doch für die Anwendung empfohlen. Weitere Beispiele wären das Antreiberkonzept aus der Transaktionsanalyse oder das Teamrollenmodell nach Belbin. Man fragt sich als Leser: Was soll daran synergetisch sein? Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, es wird hier, getreu dem biblischen Motto, alter Wein in neuen Schläuchen verkauft. Das eigentlich Innovative scheint das hier vorgestellte Rahmenmodell – die Verpackung – zu sein. Es gibt einen kompakten Überblick und ist damit bestimmt hilfreich. Doch unter der Oberfläche (Motorhaube) finden sich dann die konventionellen Elemente. Der Zusammenhang, der Mehrwert des Modells, das Synergetische findet sich nicht. Und das mag man – zurecht, denn der Untertitel verspricht es – bedauern.

Der Clou – fehlt

Nun folgen noch zwei weitere Kapitel, die den Clou bringen könnten: Das erste ist dem „Digital Leadership“ gewidmet. Das zweite dreht sich um „Synergetische Führung“. Beide glänzen durch Oberflächlichkeit. Wie schade! Seit Jahrzehnten gibt es ausgewiesen gute Literatur zum systemischen Management, zu Führung und zu Team- und Organisationsentwicklung. Sie wird in diesem Buch aber nicht rezipiert. Seit Jahrzehnten gibt es auch gute wissenschaftliche Literatur zum Thema Gruppenarbeit, die in diesem Buch nicht oder nur am Rande genannt wird. Das Buch ist gut strukturiert. Zu Beginn eines Kapitels findet sich eine Zusammenfassung, zum Schluss werden Reflexionsfragen geboten. Literatur- und Stichwortverzeichnis liegen ebenfalls vor. Doch den Mehrwert dieses Buchs – man sucht ihn vergeblich.

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