KRITIK: Organisationsmoden wechseln sich fleißig ab. Pragmatismus erscheint als Tugend. Und gegen Kritik immunisiert sich gar mancher gerne. Das kann nicht gut sein. Vermutlich wird so öfters das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
„Erkenntnisse der Organisationsforschung scheinen in der praktischen Organisationsarbeit nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Gleichzeitig wird in vielen Unternehmen die mangelnde Systematik und Konsistenz von Reorganisationen bemängelt.“ Man mag Autor Jens Grundei (Organisationsforschung als Orientierungshilfe für die Praxis) zustimmen – bei der Diagnose. Denn so ähnlich äußerte sich schon Joachim Freimuth vor mehr als zehn Jahren (Pragmatismus der reflektierten Art): Pragmatismus, Beraterlatein, Legendenbildung … Wenig evidenzbasierte Theorie.
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Interessant ist, dass beide Autoren BWL-Professoren sind. Doch sie unterscheiden sich offensichtlich. Autor Jens Grundei nimmt genüsslich die „Pfirsich-Organisation, Spaghetti-Organisation, Schwarm-Organisation“ aufs Korn. Oder das „Hierarchie-Bashing“. Da mag man zustimmend nicken – geschenkt. Doch beim „Therapie“-Vorschlag allerdings nicht. Denn für ihn „besteht ‚die Lösung‘ gar nicht in einem spezifischen Organisationsmodell, sondern in einem methodischen Vorgehensmodell zur Lösungssuche. Als Grundlage hierfür dient das betriebswirtschaftliche Entscheidungsmodell.“ Danach sind vier Schritte zu bearbeiten:
- Gegenstand festlegen: Worum genau soll es gehen? Um welche Bereiche? Welche Inhalte? Welche Phase?
- Ziele setzen: „Welche Ziele sollen überhaupt erreicht werden und welche Beurteilungskriterien für Organisationsalternativen ergeben sich daraus?“
- Gestaltungsmöglichkeiten bestimmen: Man sollte immer von mehreren Gestaltungsalternativen ausgehen.
- Gestaltungsalternativen beurteilen und Auswahl treffen: „Um einen hohen Reifegrad der Organisationsgestaltung zu erreichen, müsste dieses Vorgehen in einen systematischen Managementprozess überführt werden.“
4 Zylinder, 4-Takt
Was soll man zu diesen Vorschlägen sagen? Sie klingen auf den ersten Blick logisch. Doch bei genauerer Betrachtung befallen einen Zweifel: Kann man den sogenannten Gegenstand tatsächlich so analytisch zerteilen? Ist das sinnvoll? Was, wenn es hier Interdependenzen gibt? Und wenn sich dann die berühmten Ziele hinter den Zielen offenbaren? Wie hängen Erkenntnis und Interesse zusammen? Und „Reifegrad“ – ist das nicht ein unwissenschaftliches Konzept?
Nichts sei so praktisch wie eine gute Theorie, soll Altmeister Kurt Lewin gesagt haben. Der soeben durchdeklinierte BWL-Ansatz erscheint nur vordergründig praktisch. Im Hintergrund scheint das Maschinenmodell der Organisation durch. Das war schon in den 80er-Jahren von der (Schule/Bewegung der) Organisationsentwicklung kritisiert worden. Weil es die Rolle der Menschen in Organisationen kaum berücksichtigt. Joachim Freimuth seinerzeit (Pragmatismus der reflektierten Art): „Die BWL stand unter dem Einfluss des neoklassischen Ansatzes von Gutenberg, der keinerlei humanwissenschaftliche Aspekte berücksichtigte und normative Fragen ausblendete, die vor dem Krieg von Nicklisch noch prominent vertreten wurden.“
Hudeln ist keine Alternative, aber das Maschinenmodell auch nicht
Offensichtlich gehört Joachim Freimuth einer kleinen Minderheit der Fachschaft BWL an. Das hat ihn nicht daran gehindert, die – eben auch theoretischen – Entwicklungen der Organisationsentwicklung weiter zu verfolgen und (zehn Jahre später) kritisch zu kommentieren (Fröhlich auf der Schussfahrt wenden). Man mag seine Analyse als überzogen und sophisticated bezeichnen, habe ich seinen erhellenden Beitrag in der Organisationsentwicklung seinerzeit kommentiert. Doch wenn ich diesen Text nun neben den von Autor Grundei lege, kann ich mich nur wiederholen: Es gibt schwarze Schwäne! Das konnten wir gerade wieder beobachten (Wiederwahl von Donald Trump zum US-amerikanischen Präsidenten, Zerbrechen der deutschen Ampel-Regierung). Das Maschinenmodell ist nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.
Ein Kaufmann, der sein Geschäft betreibt, weiss, dass es den 31. Dezember jeden Jahres gibt. Er wird alle notwendigen Facetten seines Geschäft analytisch analysieren, mit Hilfe der Kepner-Tregoe-Methode und des St. Galler Management Modells von Rüegg-Stürm von 2002. Bei der Betrachtung , Analyse und Entscheidungen geht er systemisch (nich systemtheoretisch) vor, in dem er alle Einflüsse und Ausflüsse seines Geschäfts bewertet. Danach überprüft er seine Geschäftsvision und seine strategischen Ziele. Daraus entwickelt er seine Organisationstruktur.
Ich habe gelernt, dass all‘ die schönen professoralen Ergüsse nur für die Wissenschaftsblase und ihre Anhänger interessant sind. Praxis ist pragmatisch.