26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Party isch over?

INSPIRATION: Zum zweiten Mal präsentiert der SRH-Berlin-Professor Carsten Schermuly zusammen mit Christian Geissler (Commax Consulting) und dem „personal magazin“ das sogenannte New-Work-Barometer (NWB), das inzwischen auch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterstützt wird. Es geht darum herauszufinden, „was Menschen in Organisationen unter New Work verstehen, welche Maßnahmen Unternehmen mit welchem Erfolg einsetzen und wie sie die Zukunft für das Thema bewerten.“ In diesem Jahr lag der Fokus insbesondere auf den Auswirkungen der Corona-Pandemie. 469 Datensätze flossen in die Erhebung ein.

Die Ergebnisse sind äußerst interessant: Während im letzten Jahr die Definitionen vom New-Work-Begründer Fridhjof Bergmann, die der New-Work-Charta sowie das psychologische Empowerment leitend waren, steht plötzlich zudem schlicht und einfach im Zentrum der Befragten: Arbeitsort- und -zeitautonomie. Welchen Schluss soll man daraus ziehen? Ernüchterung? Alle Hoffnungen auf eine bessere Arbeitswelt zerstoben? Wer die Diskussion um New Work und Agilität in den (wissenschaftlichen) Fachzeitschriften (bspw. Organisationsentwicklung oder Gruppe – Interaktion – Organisation) verfolgt hat, den dürfte dieser Eindruck nicht verwundern. Dort wurde vor allem in den letzten beiden Jahren mit Schärfe und Nachdruck herausgearbeitet, dass sich in der populären Literatur ein Hype um diese Konzepte entwickelt hat, der weder mit der Ursprungsidee Bergmanns harmoniert noch mit konsolidierten Erkenntnissen der Organisationspsychologie.


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New-Work-Barometer: ernüchternd

Der zweite, tiefere Blick des NWB richtet sich auf die Verbreitung einzelner New-Work-Maßnahmen. Und auch hier scheint sich der Befund zu bestätigen: Maßnahmen wie Design Thinking, agile Führung und Projektarbeit werden deutlich seltener eingesetzt als noch im Vorjahr. Dafür sind plötzlich Workshops zum Thema Achtsamkeit en vogue. „Der Traum ist aus“ – so betitelt das „personal-magazin“ sein September-Heft.

Forscher Schermuly und Berater Geissler warnen jedoch vor einem solchen Kurzschluss. Corona habe eben vieles ausgebremst. Die Befragten würden das Thema New Work mehrheitlich klar als Zukunftsthema sehen. Viele Menschen haben offensichtlich erst in der Zeit des Lockdowns realisiert, was Flexibilität für sie bedeutet und wie sie praktisch funktioniert. Diese Erfahrungen werden nachwirken. So betrachtet nimmt New Work gerade Anlauf …

Doch warnen die Autoren (Im Krisenmodus): „Homeoffice und mobile Technologien könnten die Fichtenschonungen für New Work werden. Was derartige Monokulturen für ein Ökosystem bedeuten, ist bekannt: Es wird anfällig und stirbt, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern und ein Schädling wie der Borkenkäfer angreift.“ Nur wenn man weitere intelligente Maßnahmen umsetzt, wird man, so ihr Rat und ihre Hoffnung, erfolgreich sein können.

Erfahrungen bei DATEV

Dass man teilweise einen langen Anlauf benötigt, um solche radikalen organisatorischen Veränderungen umzusetzen und dass man dabei auch viel experimentieren muss, auch schon einmal zwei Schritte vor und einen zurück gehen muss, dass zeigt das Beispiel des IT-Dienstleisters DATEV (Wie HR agil wird). Bei den Verkaufspredigten für agile Arbeitsformen hat man in der Vergangenheit gerne den Rasenmäher benutzt: one fits all. Heute sieht man klarer, dass Unternehmen aus unterschiedlichen Ausgangslagen operieren, die einen sind schon lange projektorientiert unterwegs, die anderen starten aus dem tiefen Keller langer bürokratischer Tradition. In der Wissenschaft ist diese Erkenntnis als Kontingenztheorie längst bekannt. Und auch intern gibt es sehr unterschiedliche Lagen: Buchhaltung und Vertrieb funktionieren unterschiedlich. Es wäre wenig zieldienlich, alle Bereiche auf dieselbe Lattenhöhe einzuschwören.

Bei der DATEV hat man im letzten Jahr das Projekt #DATEVagileHR gegründet. Man wollte den seit drei Jahren neu entwickelten Arbeitsformen auch eine flexible und schnelle HR-Organisation an die Seite stellen. HR wurde deshalb in vier Cluster neu aufgestellt: HR Skills & Competence, HR-Business-Teams, HR Governance sowie HR Projects. Von Beginn an ging man bei der Einführung des neuen Konzepts agil und iterativ vor. Kunden und Mitarbeiter wurden beteiligt und konnten mitwirken. Alle mussten daher auch mit Unsicherheit umgehen, mit Transparenz und Feedback. Daraus entstand ein neues Wir-Gefühl. Silos brachen auf, es wurde übergreifend gedacht und crossfunktionale Teamarbeit erlebt.

Das Beispiel unterstreicht die Einschätzung von Schermuly und Geissler: Der Lockdown als Ausnahmesituation mag zwar vieles ausgebremst, aber nicht alles gestoppt haben. New Work hat wichtige Impulse aus der Erfahrung von Arbeitsort- und -zeitautonomie gezogen. Die Idee wird sich weiterentwickeln und konsolidieren. Man wird Fehler machen, sich vergaloppieren, und die einen werden schneller, die anderen langsamer vorangehen. Von daher darf man auf die Ergebnisse des NWB 2022 gespannt sein.

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