26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Pfeifen im Walde

KRITIK: Diese Veröffentlichung ist ein Skandal! Eine Bachelorabsolventin veröffentlicht zusammen mit ihrem Hochschulbetreuer die Ergebnisse ihrer Abschlussarbeit (Damit die Pflegekräfte nicht wieder ausfliegen). Dagegen ist prinzipiell nichts zu sagen, es mag gelegentlich herausragende Bachelorarbeiten geben. Doch die Ergebnisse passen so gar nicht zum Stand der Forschung, sodass man sich verwundert die Augen reibt und fragt, was die Redaktion bei dieser Veröffentlichung wohl geritten haben mag. Denn wenige Ausgaben zuvor konnte man im selben Medium ganz andere Botschaften lesen (Spätzünder).

Doch fangen wir vorne an: Schon der Vorspann kontrastiert den Personalmangel in der Gesundheits- und Pflegebranche mit der Möglichkeit, die Arbeitgeberattraktivität zu steigern – indem man auf die emotionale Mitarbeiterbindung fokussiert. Ach, denke ich mir, keine Rede von schlechter Bezahlung, von aufreibenden Schichtdiensten, von schlechter Arbeitsorganisation und verbesserungsbedürftiger Führung in dieser Branche? Nun, dann schauen wir einmal genauer hin: Die Abschlussarbeit an der ISM ging der Frage nach, „worauf die Unternehmen achten müssen, um für künftige Mitarbeitende attraktiv zu sein und um das bestehende Personal an sich zu binden“. Es wurden ein paar Interviews geführt. Wie viele, wird nicht verraten. Es werden aber bestimmt nicht mehr als eine Handvoll gewesen sein können, denn die Zeit für eine Bachelorarbeit ist äußerst knapp bemessen. Nichts gegen qualitative Forschung, ich persönlich schätze sie sehr. Man sollte aber auch immer erwähnen, dass Aussagen auf der Basis weniger Interviews starken Limitationen unterliegen – insbesondere, was die Repräsentativität der Ergebnisse betrifft.

Mitarbeiterbindung?

Sodann kam noch ein Fragebogen zum Einsatz, welcher, wird ebenfalls nicht verraten, lediglich, dass er auf Bindung, Engagement und Zufriedenheit fokussiert. Da im Beitrag immer wieder auf Mitarbeiterbindung verwiesen wird, gehe ich mal davon aus, dass es sich vermutlich um das Instrument von Allen und Meyer aus den 1990er-Jahren handelt, das affektives, normatives und kalkulatorisches Commitment untersucht. Damit marschierte die Studierende in eine (!) Seniorenresidenz und konnte 102 ausgefüllt Fragebogen (von insg. 157 Mitarbeitern) einsammeln und auswerten. Schön für die Absolventin, das reicht für die Abschlussarbeit. Dieses Vorgehen wird dem Leser nun allerdings als mikroökonomische Methode verkauft und behauptet, die Seniorenresidenz (Betonung jetzt auf „Residenz“) sei repräsentativ für den Mittelstand in der Pflege. Eine Begründung für diese Behauptung wird leider nicht geliefert.

An dieser Stelle mag auch der wissenschaftlich nicht besonders geschulte Leser sich am Hinterkopf kratzen und fragen, was man mit einem solchen methodischen Vorgehen wohl herausfinden kann. Wer sich in der Branche etwas mehr auskennt, dem dürften diverse Untersuchungen wie die berühmte NEXT-Studie nicht unbekannt sein. Vor knappen zwanzig Jahren wurde in einer europaweiten Untersuchung (ca. 40.000 Pflegekräfte) zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf befragt. In der von der EU finanzierten Studie ging es um psychische bzw. emotionale Belastungen, um die Zusammenarbeit im Team und um Führung. Die Ergebnisse waren alarmierend.

Pflegenotstand?

Geändert hat sich seitdem wenig. Der deutsche Bundesgesundheitsminister sucht derweil, weil hierzulande „Hängen im Schacht ist“, Pflegekräfte bspw. in Mexico. Es fehlt nicht an weiteren, auch sehr aktuellen Studien, so sei hier exemplarisch auf die von Weckmüller und Kollegen sowie von Weinert verwiesen, die zwar hohes Sinnerleben, Zufriedenheit und Bindung der Pflegekräfte berichten, aber zugleich den Finger in die Wunde der ökonomischen und arbeitsorganisatorischen Rahmenbedingungen legen. Der Pflegenotstand steht vor der Tür und will nicht verschwinden. 

Doch was sind die Botschaften dieser, eingangs zitierten Studie? Materielle Anreize sind wichtig, aber nicht für alle! Es sind immaterielle Faktoren, die wichtig sind. „Unternehmensruf, ein attraktiver Standort, die Arbeitsplatzsicherheit, das Betriebsklima, die Wertschätzung durch Vorgesetzte und die persönlichen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten.“ Also wieder bloß nette Worte… Es folgen dann Stichworte, die auf dem Hintergrund der aktuellen Lage einfach nur zynisch klingen: Retention Management, Weiterbildung, Gesundheitsförderung, Employer Branding. Vor zwanzig Jahren hätte man damit vielleicht noch etwas reißen können, doch heute: Viele Pflegekräfte sind schon weg, viele werden noch gehen, auch in Rente, und der Rest … Warum muss man sich das noch schönreden? Ich bin einfach fassungslos.

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