27. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Sensemaking

INSPIRATION: Das ist schon mutig: Ein Unternehmen übernimmt ein anderes und die Beteiligten beschreiben den Verlauf über drei Jahre – wobei das Happy End fehlt. Tatsächlich bekommen wir ja in der Regel Erfolgsstorys oder Querschnittsbetrachtungen präsentiert. Hier der komplette Prozess im Schnelldurchgang (Sinngebung als Schlüsselfaktor für Veränderung):

Der Geschäftsführer und ein Abteilungsleiter des übernehmenden Unternehmens A waren früher einmal für das übernommene Unternehmen B tätig, der ersterer dort sogar ebenfalls in der Funktion des Geschäftsführers. Man kannte sich also und war schon miteinander verbunden. Unternehmen A betrieb zwei Standorte südlich von Berlin, Unternehmen B war in Berlin ansässig.


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Unternehmen A wird als durch ein Familiengefüge geprägt beschrieben, das von den Mitarbeitern als berechenbar wahrgenommen wurde. Im Unternehmen B wurde die Geschäftsführung nicht besonders akzeptiert und als wenig wertschätzend erlebt. Zwar war hier das Lohn- und Qualifikationsniveau höher, aber das Unternehmen schrieb Verluste, entsprechend herrschten in der Belegschaft Existenzängste.

Der Geschäftsführer von A informierte die Belegschaften regelmäßig über Betriebsversammlungen und führte mit jedem Mitarbeiter von B ein persönliches Gespräch. Da er den meisten offenbar noch bekannt war, wurde dies als Zeichen der Verbundenheit aufgenommen und die Übernahme bei der Verkündung mit Applaus begrüßt. Die Belegschaft von A reagierte offenbar neutral. Man befürchtete nichts, aber erhoffte sich auch nichts von dem Zusammenschluss.

Klingt für mich erst mal nach ganz guten Voraussetzungen für einen gelungenen Merger, zumal nur wenige Mitarbeiter das Unternehmen B verlassen mussten. Und wie das so ist – das Unternehmen A beschloss, die Prozesse und Abläufe von A auf B zu übertragen und auch die Unternehmenskultur und die Standards von A dort einzuführen. Diese Veränderungen wurden durch regelmäßige Mitarbeiterversammlungen, kontinuierliches Meilenstein-Controlling und Workshops zur Teamentwicklung begleitet. Zusätzlich fanden regelmäßige gegenseitige Hospitationen statt. Wobei man die Autonomie der Produktionsstandorte nicht aufhob, die unterschiedlichen Abläufe in der Produktion wurden beibehalten.

Klingt immer noch nach einem gelungenen Vorgehen – ein schrittweiser Change-Prozess unter Einbindung der Beteiligten, wobei eine gewisse Autonomie bestehen blieb.

Aber dann passierten offenbar zwei Dinge, die den Verlauf kippten. Zum einen trat der Geschäftsführer zurück und verkaufte einen Großteil seiner Anteile an den neuen Geschäftsführer. Damit schien die „tradierte Familienkultur“ dem eher „managementorientierten Führungsverständnis des neuen Geschäftsführers“ weichen zu müssen. Zum anderen kam es zu einem erheblichen Umsatzrückgang bei einem wichtigen Kunden. Das führte zu Entlassungen am Standort B, die alten Existenzängste wurden wieder wach und der Eindruck entstand, dass man von Anfang an wohl geplant hatte, diesen wegen des höheren Lohnniveaus aufzulösen. Ein neues, weniger erfreuliches, aber verständliches Narrativ.

Die positiven Erfahrungen vom Anfang wurden nun umbewertet, das Management schaffte es immer weniger, das Konzept „best of both“ rüberzubringen. Wie die Geschichte genau ausgeht, erfahren wir hier nicht, offenbar war der Zustand nach den drei Jahren kritisch und die Unzufriedenheit erheblich.

Was hat das mit „Sensemaking“ zu tun? Das Konzept nach Karl Weick basiert auf der Idee, dass man „durch Narrative und Ko-Konstruktion gemeinsame Bewertungen von Ereignissen in Wandelsituationen“ vornimmt, so dass sich hierdurch neue Formen der Zusammenarbeit entwickeln können. Das, so die Autoren, sei am Anfang besser gelungen. Bis die Krise kam.

Ich bin mir da nicht so sicher. Die einen waren am Anfang begeistert, die anderen eher abwartend neutral. Dann versuchte man, die Kultur von A auf B zu übertragen, hat aber offenbar an den Strukturen nur bedingt etwas geändert. Zudem blieben die Gehaltsunterschiede – da kann ich mir vorstellen, dass auch nach drei Jahren die Mitarbeiter sich nach wie vor als Teil von A bzw. B fühlen. Ein Narrativ, das beide Unternehmen teilen, erkenne ich nicht. Und als die Krise eintritt, stellt sich heraus, dass die Konstruktion nicht trägt.

Aber Hut ab vor der Offenheit der Autoren (ein Wissenschaftler, ein Berater und der Geschäftsführer), auch wenn der Beitrag theoretisch überfrachtet wirkt.

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