26. Juli 2024

Management auf den Punkt gebracht!

Augenhöhe

INSPIRATION: Ein Wirtschaftsminister spricht zum Volk so, dass er verstanden wird. Ein Manager macht das Gleiche mit seinen Mitarbeitenden, ein Wissenschaftler mit seinen Zuhörern. Damit geben sie uns das Gefühl, einbezogen zu werden. Sind wir aber nicht. Deshalb ist das Angebot der Augenhöhe Augenwischerei. Oder doch nicht?

In einem kurzen Text zum Thema „Social Media“ erklärt Martin Fehrensen in der Brand eins, dass der Begriff „Augenhöhe“ der Schlüsselbegriff der heutigen Zeit sei (Der Spagat). Weil heute von allen verlangt wird, sich „auf Augenhöhe auszutauschen„: Von Politikern, Journalisten, Wissenschaftlern, Unternehmen. Ich ergänze: Natürlich auch von Managern und Führungskräften. 


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Was bedeutet „Augenhöhe“ eigentlich? Dass Menschen ebenbürtig, gleichrangig sind, auf einer Stufe stehen – sonst könnten sie sich auch kaum in die Augen schauen. Aber darum geht es offenbar gar nicht bei den „symmetrisierenden Kommunikationsformen“ (Irmhild Saake). Wenn sich Fachleute, Politiker, Manager, Experten äußern, sind sie kaum auf einer Stufe mit den Adressaten – es sei denn, sie sprechen zu ihresgleichen. Sie wissen mehr als andere, daher können diese ihnen gar nicht ebenbürtig sein.

Ein Dilemma

Also lautet die zentrale Frage: Sollten sie ihre Überlegenheit besser verbergen und so tun, als begeben sie sich auf Augenhöhe? Wenn z.B. der Wirtschaftsminister per Instragram-Video seine Energiepolitik erklärt, dann entsteht beim Empfänger der Eindruck: Hier nimmt mich jemand mit, bezieht mich ein, erklärt etwas so, dass ich es verstehen und vielleicht sogar unterstützen kann. In der Brand eins (Der Spagat) wird das als Spagat bezeichnet und das Dilemma an einem anderen Beispiel deutlich gemacht:

In Studien haben Patienten ein Problem mit Ärzten, die ihnen auf Basis ihrer Expertise sagen, was zu tun ist, aber dabei nicht viel erklären. Andere Ärzte, die nur Empfehlungen abgeben, aber die Entscheidung z.B. für einen Eingriff dem Patienten überlassen, werden auch nicht geschätzt. Also muss der Spagat her: So tun, als ob man den Patienten einbinden will, gleichzeitig ihm aber klar mitteilen, was die richtige Entscheidung ist. Mit anderen Worten: Augenhöhe, die faktisch nicht existiert, simulieren.

Eine Trick?

Ein ebenso interessantes Phänomen. Die gleiche Soziologin (Irmhild Saake) stellt bei Studierenden fest, dass diesen gar nicht so sehr daran gelegen ist, das beste Argument zu identifizieren. Sie suchen vielmehr nach Diskriminierungen in der unterlegenen Position, nach Anzeichen, dass man nicht ausreichend gehört oder berücksichtigt wurde. Soll heißen: Sie wollen nicht gleichberechtigt diskutieren (was sie mangels Fachwissen auch nicht können), sondern gleichrangig behandelt werden. Folglich muss auch hier die Expertin so tun, als ob sie ihre Studenten wie Ihresgleichen behandelt. Täte sie es nicht, würde sie als arrogant, überheblich, abgehoben etc. gelten.

Mir fällt dazu ein Erlebnis ein, das sehr lange zurückliegt: Meine Tochter erkrankte als Baby, die Ärzte war sich nicht sicher, welche Ursache vorlag. Um sich abzusichern, schlugen sie eine Reihe diagnostischer Maßnahmen vor, die für unser Kind (und uns Eltern) erhebliche Strapazen bedeutet hätten. Tatsächlich sagte damals eine Ärztin zu uns: „Um ganz sicher die Ursache X auszuschalten, sollten wir jetzt …“. Ich weiß noch, dass ich völlig ratlos war und mir vermutlich auch gewünscht hätte zu hören: „Bei diesem Symptom ist die Vorgehensweise klar, und zwar …“ 

Was bedeutet in dieser Situation „auf Augenhöhe“? Ich glaube, dass es durchaus in Ordnung ist, wenn sich die Expertin, Managerin, Politikerin usw. sicher ist dank ihrer Kompetenz, klare Ansagen zu machen mit der Botschaft: „Ich sehe keine Alternative zu … weil … und deshalb entscheide ich …“ Hier würde für mich „auf Augenhöhe“ bedeuten, dass ich meine Argumente so in Worte fasse, dass sie mein Adressat auch versteht. In diesem Fall nehme ich ihn ernst und versuche alles, damit er mich versteht. Das wäre Augenhöhe – den anderen ernst nehmen.

Respekt

Was aber, wenn er sich nicht sicher ist? So wie der Wirtschaftsminister? Der Manager, die Führungskraft, die Ärztin aus meinem Beispiel? Na, dann erkläre ich, dass ich nicht sicher bin und warum das so ist. Und warum ich trotzdem zur Entscheidung A statt B neige. Auch hier nehme ich den anderen ernst. 

Um das Beispiel von oben zu komplettieren: In meiner Not fragte ich damals die Ärztin: „Angenommen, das wäre Ihre Tochter: Würden Sie diese Prozedur durchführen lassen?“ Sie musste nur kurz nachdenken und antwortete: „Vermutlich nicht.“ Letztlich ging es nicht um die richtige Vorgehensweise, sondern um Absicherung. Auf Augenhöhe hätte in diesem Fall bedeutet: „Es gibt diese diagnostischen Möglichkeiten, und um sicher zu gehen, dass ich später nicht verklagt werde, empfehle ich die Durchführung. Aus medizinischer Sicht halte ich sie für nicht nötig.“ 

Statt von „auf Augenhöhe kommunizieren“ sollte meines Erachtens lieber von „respektvoll kommunizieren“ die Rede sein, dann kommt erst gar nicht der Verdacht auf, jemand tue nur so, als nehme er den anderen ernst.

Vielleicht ist ja das die ganze Kunst: Die Bedürfnisse anderer ernst nehmen, und nicht so tun als ob. 

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