KRITIK: Es musste ja so kommen. Die weise Erkenntnis, dass Führungskräfte mit ihren Mitarbeitenden sowohl von Angesicht zu Angesicht als auch online kommunizieren können müssen, braucht einen eigenen Begriff. Das hat bei Blended Learning geklappt, warum nicht auch hier. Ich frage mich, warum man keine eigenen Begriffe gesucht hat, als das Telefon erfunden wurde und Mitarbeitende plötzlich auch Anweisungen per Anruf entgegen genommen haben. Aber egal, vielleicht steckt ja doch mehr dahinter, man soll die Hoffnung nicht aufgeben.
Die Autoren in der Personalführung (Vom Blended Learning zum Blended Leading) sind der Ansicht, dass HR das Feld nicht der IT überlassen soll, sonst verpasse man eine schöne Gelegenheit, hybrides Führen – der alternative Begriff – aktiv mitzugestalten. Ein Ansatz: Hat man im Unternehmen schon ein Kompetenzmodell, sollte es angepasst werden, damit auch die zum Blended Leading benötigten Kompetenzen dort abgebildet sind. Also zügig ein „Upgrade“ auf den Markt bringen.
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Eine kleine App, die ein Portfolio erstellt
Ein anderes Spielfeld: Nachfolgeplanung und Talentmanagement. Dafür nutzt z.B. Liebherr die digitalen Plattformen, die schon überall im Einsatz sind, und niedliche „digitale Helferlein“, etwa eine „Talent-Portfolio-App“. Die gibt es für jedermann kostenlos auf’s Handy (hab ich ausprobiert, stimmt!). Sie bietet „HR-RIsk-Management in der Hosentasche“ (Originalzitat!). Da gibt die Führungskraft die Namen (oder besser ein Pseudonym) ihrer Mitarbeitenden ein und bewertet sie nach so „innovativen“ Kategorien wie „Leistung meistens (noch) nicht erfüllt / starker Verbesserungsbedarf“ oder „Potenzial derzeit nicht erkennbar / längerfristig vorstellbar“ oder „fähige Person / produktiver Einzelkämpfer“ usw. Am Ende erklärt die App, wo jemand im Talent-Portfolio steht, das Ergebnis wird an HR überspielt, dort hat man dann ein Gesamtbild über alle Abteilungen hinweg.
Hybrid geht es dann weiter. Per Online-Konferenz besprechen die Führungskräfte ihre Schäfchen, moderiert von HR und legen individuelle Maßnahmen fest, wie z.B. Coaching oder die Teilnahme an Förderprogrammen. All das wird dann vom HR-System übernommen. Ich frage mich, welche zusätzlichen Kompetenzen eine Führungskraft hier benötigt: Wie man Kreuzchen in albernen Beurteilungssystemen per Handy setzt statt auf dem Papier? Wie man sich in eine Online-Konferenz einloggt?
Software-gestützte Führung
Zweiter Versuch, gleiches Heft (Wie Software Führung unterstützt). Hier hat ein Start-up offensichtlich etwas mehr investiert als eine kleine App zu basteln, die aus Kreuzchen ein Portfolio erstellt. Es hat „sich auf die Digitalisierung von Teamführung spezialisiert“ – das weckt Aufmerksamkeit. Das Bedürfnis ist alt, die Rechtfertigung, warum es heute noch viel wichtiger ist, die Motivation aller Mitarbeitenden hochzuhalten, nur bedingt nachzuvollziehen. Aber was soll’s – wenn es tatsächlich ein Instrument gibt, das hierbei unterstützt – warum nicht?
Das Start-up verspricht, die Effektivität vom Team innerhalb von 12 Monaten um 18% zu erhöhen und die Fluktuation um 21% zu senken – das lohnt sich doch, hat man sich bei der Otto Fuchs KG gedacht und setzt das Tool nun ein. Worum geht es? Ausgangsthese: Wenn die „Werte- und Passionsstrukturen“ im Team passen, klappt es auch mit der Leistung. Also erfasst man mithilfe eines Online-Fragebogens das Werte- und Passionsprofil eines jeden Mitarbeiters, heraus kommen „Typen“ wie Veränderer, Teamplayer, Umdenker, Ideenbringer, Koordinator u.ä. Die Erkenntnisse hieraus werden in einem Reflexionsgespräch mit einem Experten vertieft.
Mist bleibt Mist – auch nach der Digitalisierung
Sodann wird eine Gesamtperspektive des Teams erstellt, diese wird in einem gemeinsamen Termin mit dem Team besprochen. Es gibt eine „Teamarchitektur auf dem virtuellen Teamspielfeld“, die Software macht sodann Vorschläge, wie das Team Defizite ausgleichen kann. Dann gibt es wohl eine weitere Befragung, innerhalb von 10 Minuten erstellt die Software dann ein Bild der Stärken und Blockaden im Team, es folgt eine neue kurze Befragung, die dann zu den Ursachen der Blockaden führt.
Schließlich bekommt die Führungskraft softwarebasiert Empfehlungen, die Blockaden zu beheben, es werden zudem Teammitglieder genannt, die am ehesten geeignet sind, Lernimpulse für das Team zu setzen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass auch etwas passiert, um satte 90%. Schließlich wird ein Turnus von 10 Wochen empfohlen, um die Umsetzung zu unterstützen und den Status quo zu erheben.
„Und immer schön fröhlich bleiben“
Bei der Otto Fuchs KG ist die Stimmung im Team deutlich besser geworden, und die Folgebefragungen ergaben eine erhöhte Agilität, eine gesteigerte Kreativität, mehr Vertrauen und eine besseres Konfliktmanamgent. Wobei: Letzteres sank bei der letzten Befragung wieder, was die Autoren zu dem Fazit führt, dass kontinuierliche Bemühungen notwendig sind.
Na endlich, denke ich. Nun gibt es also Messinstrumente, die einer Führungskraft den Weg weisen. Alle zehn Wochen eine Umfrage starten, Ratschläge der Software umsetzen und Stimmung und Leistung steigen kontinuierlich. Echt jetzt? Kleine Randbemerkung: Über unterschiedliche Wertvorstellungen zu sprechen und die Interessen der Mitarbeitenden bei der Vergabe von Aufgaben zu berücksichtigen, war schon immer eine gute Idee. Wenn ein Tool dabei hilft, warum nicht. Ich fürchte nur, dass Mitarbeitende irgendwann die Nase voll davon haben, alle zehn Wochen einen Fragebogen zu ihren Werten und Passionen auszufüllen …